An was glauben Sie? Religion ist ihr wichtig. Außerdem glaubt Christine Ebeling an ein Leben nach dem Tod. Mit der Institution Kirche hat die katholisch erzogene Sprecherin des Gängeviertels jedoch schon als Kind gebrochen

Christine Ebeling kommt ganz in Schwarz. Ein ungewöhnlicher Anblick auf dem Großneumarkt mitten im Hochsommer. Morgens war sie auf einer Beerdigung. Die 44-Jährige erzählt davon, wirkt traurig und sagt dann plötzlich: "Ich häng' gar nicht so am Leben."

Es sei nicht das erste Mal, dass sie denke: "wie schön es wäre, mit jemandem zu tauschen, dem ich das Leben viel mehr gönne als mir."

Eigentlich hätte sie schon alles im Leben erlebt, viel genießen können und auch viele Tiefen durchschritten. Einer Freundin, die viel zu jung verstarb, hätte sie ein längeres Leben viel mehr gegönnt. "Sie war voller Tatendrang, eine Künstlerin besonderer Art. Ich bewege auch recht viel, aber mir erscheint es nicht genug, ich stoße immer wieder an meine eigenen Grenzen."

Wie überraschend für eine Frau, die öffentlich so präsent ist. Seit vergangenem Sommer ist Christine Ebeling "das Gesicht vom Gängeviertel". Als Sprecherin vertritt sie die Künstlerinitiative gegenüber den Hamburger Behörden.

Aber sie ist eben kein Typ für oberflächliche Gespräche. Sie ist offen, ehrlich und spontan. Ihre Art zu sprechen hat etwas Beruhigendes oder auch: Bezauberndes. Christine Ebeling hat diese Eigenschaften in vielen Verhandlungen im Kampf um das Gängeviertel gezeigt. Mit ihrem Charisma verbindet sie Menschen. Ihr besonderes Verhandlungsgeschick und ihr Charme haben entscheidend zur Rettung des Gängeviertels beigetragen.

Die "Kulturarbeiterin" ist seit 17 Jahren selbstständig und in der Szene bestens vernetzt und anerkannt.

Sie ist zierlich, kann jedoch kräftig zupacken; zum Beispiel wenn sie selbst künstlerisch arbeitet. Christine Ebeling ist staatlich geprüfte Bildhauerin und Gestalterin und kann mit Hammer und Amboss umgehen. Sie ist seit langem mit dem Philosophen und Kunstwissenschaftler G.F. Gerlach liiert; Kinder hat sie keine.

"An Gott glaube ich in der Form nicht - obwohl ich sollte", sagt sie - einfach so. Und erzählt dann davon, wie sie ihren ursprünglich engen Draht zur Kirche verlor: Aufgewachsen ist Christine Ebeling in einem kleinen Dorf im südlichen Niedersachsen. Ihre Mutter ist katholisch, der Vater evangelisch. Der sonntägliche Gang in die Kirche war selbstverständlich. Die streng katholische Großmutter mütterlicherseits prägte mit tiefer Religiosität die Familie und stand ihr besonders nahe.

Mit acht Jahren, mittlerweile wohnte die Familie in Hamburg, verbrachte sie viel Zeit bei Pater Dominik. Mit ihm sprach sie häufig über Bibelpassagen. Sie bewunderte seine unangepasste Art. "Beichten musste ich nie."

Der persönliche Bruch mit der Institution Kirche kam nach der Kommunion. Pater Dominik wurde versetzt, auch weil er Christine Ebeling zur Ministrantin machen wollte, aber nicht durfte. "Das hatten wir so abgestimmt. Doch es wurde verboten. Das war für mich das Aus." Sie war tief enttäuscht, mit der Kirche als Institution konnte sie nichts mehr anfangen.

Ihre Ablehnung wurde noch stärker, als sie sich mit der Historie der Katholischen Kirche beschäftigte. Christine Ebeling: "Die Gesellschaft wäre ohne die Entwicklung der damit verbundenen Machtstrukturen und Ausgrenzungen eine andere, da bin ich mir sicher." Mit 18 Jahren trat Christine Ebeling aus der Kirche aus.

Sie erfuhr, dass Pater Dominik an Malaria erkrankte. "Mehr weiß ich nicht über ihn", sagt sie. "Doch noch heute ist er ein Vorbild." Die Güte und Nachsicht, mit der er sie behandelte, habe sie genauso beeindruckt wie sein Mut und das Unrechtsempfinden, dass sie von ihm lernte.

Mit dem Tod, dem Glauben und dem Leben hat sie sich sehr früh und sehr heftig auseinandergesetzt. Als sie drei oder vier Jahre alt war, stellte sie ihren Tod mit einer Puppe nach. "Als meine Großmutter krank wurde, und die Eltern sich weniger um uns kümmerten, fühlten meine Schwester und ich uns zurückgesetzt."

Sie drapierte ihre Kleidung mit der blonden Puppe und mit leeren Flaschen auf dem Teppich im Wohnzimmer, ging selbst ins Bett. Es sollte so aussehen als würde sie leblos in der Kleidung stecken. Offenbar gelang die Täuschung. "Meine Eltern waren völlig fertig, wollten nicht näher kommen und haben gleich meine Tante geholt." Später tat ihr das total leid: "Ich wusste erst viel später, was ich da ausgelöst habe."

Als Jugendliche las sie viele Bücher über diese Themen. "Ich glaube schon stark daran, dass das Leben mit dem Tod nicht aufhört", sagt sie. Wo ist sie nach einem Tausch von Leben und Tod? "Ein Mensch verschwindet nicht, das glaube ich ganz sicher. Irgendwas bleibt, Energie mindestens. Ich bin sicher, dass ich nicht verschwinde", sagt sie lächelnd und leise. "Ich bin neugierig, was da kommt."

Dann berichtet sie, wie ihr Großvater wenige Zeit nach seinem Tod auftauchte. "Ich lag krank im Bett und nahm plötzlich einen Geruch und eine Wärme wahr. Irgendetwas war da. Meine Katze saß auf der Bettdecke zu meinen Füßen und fixierte etwas hinter mir. Und zwar sehr lange. Ich traute mich nicht, mich umzudrehen.

Doch alle meinen Gedanken waren von meinem Großvater erfüllt. Ich bin sicher, dass er sich noch einmal von mir verabschiedet hat. Irgendwann war das weg, die Katze hat sich hingelegt, und ich bin beruhigt eingeschlafen." Lange Pause. Dann: "Ich glaube, das stimmt."

Als Erwachsene hat sie sich mit den Quellen der Entstehung von Religionen beschäftigt, wollte deshalb Archäologie studieren. Gern wäre sie im Nahen Osten auf Fährtensuche gegangen - und trauert dieser Idee noch nach. "Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich anders leben." Dann - mit mehr Zeit - könnte sie sich mehr mit dem für uns Unsichtbaren beschäftigen, mit den Mächten, die nach ihrem Verständnis die Welt beeinflussen, und die sie nicht Gott nennen will.

Doch Christine Ebeling ist zu sehr im Hier und Jetzt gefordert. Die Verhandlungen mit den Behörden "und alles was noch dran hängt" erfordern einen großen Einsatz, auch abends. "Nebenbei" hat sie ihren Beruf und arbeitet für Museen und Ausstellungen. Und eigentlich wollte sie schon längst umgezogen sein.