Wagners “Tristan und Isolde“ wird wiederaufgenommen

Es war ein Schock. Nicht nur für eingefleischte Wagnerianer. Er spaltete das Publikum in zwei Lager: Kaum dass Isolde ihre letzten Töne ausgehaucht hatte, entlud sich ein brachiales Buhgewitter der einen Fraktion - dem die begeisterten Besucher der anderen Seite ebenso kräftige Bravos entgegen brüllten. Keine Frage, Ruth Berghaus' Inszenierung von Wagners "Tristan" im März 1988 sorgte für einen der größten Premierentumulte, den die Staatsoper Hamburg je erlebt hat.

Was war passiert? Die ostdeutsche Regisseurin und ihr Bühnenbildner Hans Dieter Schaal hatten Wagners Liebesdrama radikal von romantischem Pomp befreit und in ein futuristisches, von kühlen geometrischen Formen geprägtes Ambiente verlegt. Im Zentrum der Bühne steht eine riesige Turbine: Symbol für den unwiderstehlichen Sog der Gefühle, aber auch für die Ortlosigkeit von Raum und Zeit in dieser "Handlung in drei Aufzügen", wie es der Komponist genannt hat. Tristan und Isolde schwärmen noch vom längst vergangenen ersten Liebesblick und träumen sich zugleich in eine ferne Zukunft.

Berghaus präsentiert hier kein schmachtendes Liebespaar, sondern seziert die Seelenzustände ihrer Protagonisten mit nüchternem Blick. Es sind zwei einsame Gestalten, die vor allem in sich selbst kreisen. Wenn sie tranceartig nebeneinander her schwanken, wirken sie fast wie hilflose, von fremden Anziehungskräften gesteuerte Marionetten. Die Regisseurin gönnt uns keine Idylle, ja nicht einmal eine kurze Schwärmerei. Selbst im zweiten Akt, wo die beiden in die "Nacht der Liebe" eintauchen, singen und gehen sie aneinander vorbei wie zwei Schlafwandler - einer der härtesten Momente der Inszenierung, weil er das sinnliche Schwelgen der Musik erbarmungslos konterkariert.

Die Zweisamkeit bleibt Illusion; anstelle eines Duetts hören wir zwei Monologe. Am Ende umarmt Isolde einen von Kratern übersäten Planeten. Ihre Liebe ist nicht für diese Welt gemacht. Das zeigt Berghaus sehr deutlich, ebenso kritisiert sie den Drill der hierarchischen Männerwelt.

Der Blick auf die gesellschaftlichen Implikationen eines Werks gehörte für die 1996 verstorbene Brecht-Schülerin zu den Aufgaben ernst zu nehmender Regiearbeit. Mit dieser Sicht hat sie viele Fragezeichen gesetzt, manchen Operngänger verstört und für Diskussionsstoff gesorgt. Genau das zeichnet relevante Inszenierungen aus. Längst gehört der ehemalige Skandal-"Tristan" zu den Klassikern des Regietheaters.

Deshalb bringt ihn die Staatsoper jetzt nach längerer Pause auf die Bühne. Die Wiederaufnahme von Ruth Berghaus' "Tristan"-Interpretation - ein Meilenstein der zweiten LiebermannIntendanz - ist Ende Mai und Anfang Juni in drei Aufführungen zu erleben: mit Christian Franz, dem gefeierten Hamburger Siegfried, als Tristan, mit Linda Watson als Isolde und Peter Rose in der Rolle des König Marke. Katja Pieweck singt Brangäne, Boaz Daniel den Kurwenal. Am Pult steht Generalmusikdirektorin Simone Young.

"Tristan und Isolde" 28. und 31.5., 3.6., jeweils 17.00, Staatsoper. Karten unter T. 35 68 68