Lin Hwai-min und das Cloud Gate Dance Theatre gastieren mit den magischen Bewegungsbildern “Water Stains on the Wall“

Auf der Bühne nichts als eine geneigte weiße Fläche. Sie stellt ein leeres Blatt Reispapier dar, wie es chinesische Kalligrafen verwenden. Lin Hwai-min, der Gründer und Choreograf des Cloud Gate Dance Theatre in Taiwan beschäftigt sich in den letzten Jahren intensiv mit der chinesischen Schriftkunst, hat "Cursive I und II" 2004 bei den Movimentos Festwochen gezeigt. Wie alle Schriftartisten versuchen der mit Körpern im Raum schreibende Choreograf und seine Tänzer die Ästhetik ihrer Bewegungskunst stets weiterzuverfeinern und zu vervollkommnen.

"Water Stains on the Wall", der Titel von Lin Hwai-mins neuem ebenso magischen wie minimalistischen Werk, bezieht sich auf einen legendären Dialog zweier chinesischer Kalligrafen aus der Zeit der Tang-Dynastie (618-907). "Woher bekommst du die Inspiration für deinen Stil?", fragt Yen Chen-ching den jungen Mönch Huai Su. Dessen "Kai"-Schrift brachte die kalligrafische Kunst zu hoher Blüte und beeinflusst sie bis heute. "Ich beobachte die Sommerwolken, die oft gewaltigen Berggipfeln gleichen. Manchmal nehmen sie die Form der aus Wäldern auffliegenden Vogelschwärme an oder jene der ins Buschwerk hineingleitenden Schlangen." - "Wie wäre es denn mit Wasserflecken an der Wand?", ruft Huai Su aus: "Alles klar, du alter Teufel!"

In der Kunst der Kalligrafie geht es um das Beherrschen des Wesentlichen, den Fluss von Tinte über das Papier. Ihr höchstes Niveau erreicht sie nicht im Spektakulären oder in äußerlich virtuoser Form. Sie sollte organisch sein wie die Natur selbst. Wird der Mensch mit dem Material ohne Prätention eins, kann er sich im Glücksfall schnörkellos einer poetischen Essenz annähern. Nichts anderes, als dies im Tanz zu verwirklichen, ist das Bestreben Lin Hwai-mins. Betrachtet man sein Oevre, ist eine zunehmende Reduktion zu beobachten. Von Mythen und Politik abgewandt, philosophiert er im Tanz über das Wesen menschlichen (Da)Seins. Ein weiser Meister und zugleich gewitzter Schlaufuchs. "Es war schwierig für meine Tänzer, auf der geneigten Spielfläche zu tanzen, denn Balance und Schwerpunkt verlagern sich", erklärt er.

Einerseits forderte er dadurch ihren Einsatz und Ehrgeiz heraus. Andererseits wollte der Choreograf die in wochenlanger Arbeit ausgetüftelten Projektionen der Wolken oder Tinten-Schlieren durch die Schräge für die Zuschauer sichtbar werden lassen. Sie fegen zu den Naturklängen des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa nahezu pausenlos über das "Papierblatt" hinweg, tauchen die weiß gewandeten Tänzer in ein fantastisches Wechselspiel aus Licht und Schatten.

Die Gruppe springt und dreht sich blitzschnell oder gleitet in meditativer Zeitlupe über die weiße Fläche. Die Tänzer verbinden Elemente aus klassischem Ballett, Modern Dance, Qigong und Kampfkunst. "Ich nenne es eine innere Kampfkunst, die Koordination und Konzentration trainiert." Westliche Balletttänzer sollten möglichst leicht vom Boden abheben. "In unserer Welt ist die Kreisbewegung der Schlüssel. Meine Tänzer ziehen alle Kraft aus dem Boden und bleiben ihm verbunden. Und die Kalligrafie ist zweifellos die schönste Demonstration für die Energie und Harmonie der Kreisbewegung."

"Waterstains on the Wall" ist in der Melange von Tanz und Kalligrafie ein choreografisches Meisterwerk. Aber es lässt sich auch als ein poetisches Tanzgedicht lesen: Über die Macht und Schönheit der Natur und die Fragilität und Ohnmacht der sich über sie als Herrscher wähnenden Menschen.

Cloud Gate Dance Theatre: "Water Stains on the Wall" 10. bis 13.5., jew. 20.00, KraftWerk