Moritz Rinke hat das Grimm'sche Märchen “Der Trommler“ neu verfasst

Märchen gelten als Horte wundersamer Begebenheiten, die zeitlose, metaphorische Weisheiten verkünden. Was passiert, wenn sich einer der gefragtesten Gegenwartsautoren einen traditionellen Stoff der Brüder Grimm vornimmt, ist bei einer Uraufführung am 19. Mai im Schloss Wolfsburg zu erleben. Moritz Rinke hat eine moderne Textfassung von "Der Trommler" erstellt, gespickt mit allerlei Rinke'schen Humorblüten. Eine besondere, sinnliche Dringlichkeit erfährt sie zudem durch die begleitende Musik der Komponistin Birke Bertelsmeier. Die in Karlsruhe lebende Musikerin kann mit 30 Jahren schon stolze 60 selbst verfasste Werke vorweisen. Sie arrangiert den Stoff für Schlagwerk, Klavier, Klarinette, Flöte, Cello und Harfe für insgesamt sieben anerkannte Jungmusiker.

Rinke ist kein ausgesprochener Märchenfan; doch der in Berlin lebende Dramatiker und Autor liebt es, einen frischen Blick auf überlieferte Werke zu richten. Die Grimm'schen Märchen schätzt er wegen ihrer Dichte, Tiefe und Ambivalenz. "Auch ein Happy End ist hier oft getränkt mit Traurigkeit", sagt er. 2006 landete er mit der Neufassung der Nibelungensage bereits einen Erfolg, wobei er das Gewirr aus Frauen, Schlachten und Schätzen gelungen ausdifferenzierte. "Ich habe Freude an Neuschreibungen. Man muss einen Stoff nicht unkenntlich machen", sagt Moritz Rinke. "Es ist eher ein Eintauchen in das Schreiben älterer Kollegen. Eine zärtliche Korrespondenz." Auch am "Trommler" nimmt Rinke einige wesentliche Modifizierungen vor. Unter dem Titel "Der Mann, der sich ins Märchen trommelte" ist dem Protagonisten allezeit bewusst, dass er in ein Märchen eingetreten ist. "Er erinnert sich an die Erzählungen seiner Kindheit, aber er weiß nicht genau, in welchem Märchen er sich befindet", erzählt Rinke. Ein Prinzip, das auch WoodyAllen für seine Filme nutzte.

An einem See findet der junge Trommler drei Leinenstücke, von denen er eines mitgehen lässt. Im Schlaf erscheint ihm eine Königstochter, die ihr Hemd vermisst und von einer Hexe auf den Glasberg verbannt wurde. Der Trommler gibt das Textil zurück und kündigt Hilfe an. Auf seiner Reise hat er diverse Prüfungen zu bestehen. Er muss sich mit einem Riesen auseinandersetzen und mit einer garstigen Alten, die ihn für gewährte Unterkunft zu harter Arbeit heranzieht. Er trifft die Königstochter, vergisst jedoch die gemeinsamen Heiratspläne schmählich, als er sie mit zu seinen Eltern nimmt und diese auf die Wange küsst. Eine Hochzeit mit einer anderen Braut wird arrangiert. Und nun bedarf es einiger List derKönigstochter, um erneut mit dem Trommler zusammenzukommen.

Rinke hat hier eine inhaltliche Justierung vorgenommen: Eine von ihrer Rolle als milde lächelnder Königstochter emanzipierte Prinzessin ist es, die das Instrument bedient, das der jugendliche, zwar mutige aber auch ungestüme Trommler auf dem Berg vergessen hat. Mit dem Klang erweckt sie ihn aus dem Schlaf und erinnert ihn, mit dem Herzschlag der Trommel, an seine erste große Liebe, die Musik. Die Märchenwelt behält die traditionelle Sprache bei, der Trommler darf sich in einem modernen Sprech äußern.

Denn dort ist die Wortkunst des Moritz Rinke beheimatet. Der Dichter reüssierte mit gegenwartsdiagnostischen Theaterstücken wie "Der Mann, der noch keiner Frau Blöße entdeckte", "Republik Vineta" (2000 uraufgeführt am Hamburger Thalia-Theater) oder "Die Optimisten". Für Furore sorgte seine Neufassung der "Nibelungen" bei den Nibelungenfestspielen Worms, die zwischen 2002 und 2008 zur Aufführung kamen. Vier Jahre lang schrieb Rinke an seinem ersten Roman "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel", in dem er humorvoll seinen Geburtsort, die Künstlerkolonie Worpswede, beleuchtet und von dem er stolze 100 000 Exemplare absetzte. Seine Übersetzung dürfte auch dem Grimm'schen Klassiker gut zu Gesicht stehen.

"Der Trommler" Uraufführung 19. Mai, 20.30, Schloss Wolfsburg