mit Johann Hinrich Claussen. Ein Plädoyer für Diskretion statt Transparenz

Bis vor kurzen war es ein Fremdwort, jetzt führt es jeder im Munde: die "Transparenz". Mehr, mehr davon, rufen allerlei kleine und große Häwelmänner - Politiker und Journalisten, Verbraucherschützer und Konzernchefs. Ich weiß nicht recht. Wenn die unterschiedlichsten Leute dasselbe wollen, regt sich bei mir Unbehagen. "Transparenz" bedeutet "Durchsichtigkeit". Es sollen also alle bei allem den Durchblick haben.

Natürlich, als Bürger will ich wissen, wen ich wähle. Als Konsument hätte ich gerne einen verlässlichen Eindruck davon, was ich verzehre. Wenn es um Recht und Unrecht geht, müssen Abgründe ausgeleuchtet werden. Doch dann hört es bei mir auch schon auf. Wenn ich die täglichen Informationsangebote betrachte, muss ich gestehen, dass es viel mehr Dinge gibt, die ich gar nicht wissen will, als umgekehrt. Und ich habe nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlte. Um wichtige Entscheidungen zu treffen, kommt es nicht darauf an, dass man alle, sondern nur dass man die wesentlichen Informationen hat. So gibt es kein besseres Mittel, um die Leute in die Irre zu führen, als sie mit Informationen zuzuschütten.

Mich erinnern die heutigen Transparenz-Apostel an die alten Calvinisten in den Niederlanden, bei denen Gardinen verpönt waren. Wer als glaubensstreng und sittenrein gelten wollte, hängte keinen Stoff vor seine Fenster. Dabei ist das Verhüllen und Verbergen manchmal doch ganz schön, ja lebensnotwendig. Es zeigt, dass es Dinge gibt, die andere nichts angehen, weil sie privat sind. Sie neugierigen Blicken mit Hilfe eines blickdichten Vorhangs zu entziehen, ist nichts weniger als ein Menschenrecht.

Um einmal konkret und furchtbar politisch zu werden: Vom neuen Bundespastor - äh, Bundespräsidenten wünsche ich mir vor allem eines, nämlich, dass ich von ihm nur Amtliches erfahre, von seinen Dienstreisen und Dienstreden höre, aber sonst nichts, vor allem nicht Privates. Nichts über seine Hobbys, seine Familie, seine Ferien und Freunde, was er gern isst und wie er sich die Zähne putzt. In all diesen Dingen wäre mir strikte Intransparenz das Liebste. Und der gegenwärtig allzu modischen "Transparenz" möchte ich ein anderes, leider fast vergessenes Fremdwort entgegenstellen. Es heißt "Diskretion".