Diakonie und Caritas haben überwiegend Angebote für Migrantinnen, weil die mehr Hilfe brauchen

Angela Bähr ist Fachbereichsleiterin für Migration- und Frauensozialarbeit im Diakonie-Hilfswerk, und unter anderem verantwortlich für das Stadtteilmütter-Projekt. Sinischa Sven Balaz ist Koordinator der drei Hamburger Caritas-Integrationszentren für bleibeberechtigte Migranten.

Hamburger Abendblatt:

Warum ist es so wichtig, gerade Frauen mit Migrationshintergrund zu beraten?

Angela Bähr:

Es sind ganz überwiegend die Frauen, die sich um die Kinder und deren Erziehung und Bildung kümmern. Meist kommen sie als Begleitung der Männer nach Deutschland, auf dem Arbeitsmarkt werden sie oft diskriminiert. Deshalb erreichen wir sie durch die herkömmlichen Formen von Sozialarbeit nur schwer.

Sinischa Sven Balaz:

Die Männer sind schneller integriert durch den Beruf. Die Frauen haben in der Familie komplexere Aufgaben, deswegen kommen sie in der Regel beim Lernen der Sprache nicht so schnell voran.

Gibt es ganz typische Probleme und Mentalitätsunterschiede bei den Migrantinnen-Gruppen?

Balaz:

Zu uns kommen sehr viele afghanische Flüchtlinge. Diese Frauen sind oft Analphabeten, aber sehr motiviert, die Sprache zu lernen. Bildung ist für sie ein hohes Gut. Afrikanische Frauen werden oft von ihren Männern mit allen Erziehungssorgen alleine gelassen. Und wenn dann noch die Bildung fehlt, was häufiger der Fall ist, haben die im Alltag enorme Schwierigkeiten. Frauen aus ehemals russischen Gebieten sind oft selbstbewusster gegenüber ihren Männern und nehmen Hilfen bei der Erziehung in Anspruch.

Bähr:

Der soziale Status im Heimatland macht den Unterschied. Aber es gilt schon: Je fremder die Hautfarbe, desto größer ist die Diskriminierung.

Welche Aufgaben haben Migrantinnen bei der Erziehung der Kinder?

Balaz:

Die meisten Migrantinnen tragen die Sorge und die Verantwortung für die Familie. Sie regeln den Alltag.

Bähr:

In vielen muslimischen und auch in fundamentalistischen christlichen Familien gibt es ein sehr traditiertes Frauenbild. So hat die Frau im Haus und am Herd das Sagen, sie entscheidet über die Schule der Kinder. Aber das Familienoberhaupt ist der Mann. Er geht zur Elternversammlung.

Bis zum zehnten Lebensjahr werden die Kinder ähnlich aufgezogen, aber sobald die Pubertät eintritt, wird die Rollenzuteilung sehr deutlich. Da wird die Tochter von der Mutter und der Sohn vom Vater erzogen.

Beraten Sie auch Männer?

Bähr:

Wir haben keine spezifische Männerarbeit. Und zu den gemischten Angeboten wie der Integrationsberatung kommen auch deutlich mehr Frauen. Die sind eher bereit, Ratschläge anzunehmen. Männer wollen es eher alleine schaffen.

Balaz:

An unseren Angeboten nehmen zu 70 Prozent Frauen teil. Männer besuchen auch Integrationskurse, aber für die ist es leichter, sie durchzuhalten. Frauen können oft erst anfangen, die Sprache zu lernen, wenn die Kinder aus dem Haus sind.

Es scheint, als ob in manchen Migranten-Familien ein Desinteresse an der Bildung der Kinder herrscht. Woher kommt das?

Bähr:

Eine Analphabetin ist schlichtweg überfordert damit, ihre Kinder durch die Schule zu begleiten. Deutsche Werte wie Pünktlichkeit und Elternpartizipation haben in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern eine andere Wertigkeit. Deswegen gibt es viele Initiativen an Schulen, um Eltern mit Migrationshintergrund intensiv anzusprechen. Unter anderem durch den verstärkten Einsatz von Lehrkräften mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen.

Gibt es einen missionarischen Auftrag hinter Ihrer Beratung?

Balaz:

Nein, in unserer Arbeit steht immer der Mensch im Vordergrund, unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit.

Bähr:

Für uns gibt es einen rein diakonischen Auftrag. Also, liebe deine Nächste. Es wird deswegen nicht nach der Kirchenzugehörigkeit gefragt. Wir kümmern uns um die soziale und gerechte Teilhabe dieser Migrantengruppen in Notlagen.

Gibt es noch Lücken im Beratungsnetz?

Bähr:

Eine Beratungslücke gibt es derzeit bei jungen Frauen zwischen 20 und 25 Jahren, die sich aus der traditionellen Rolle lösen möchten und spezifische Arbeitsqualifizierungen brauchen.