Der eine glaubt an sich, der Nächste an die Liebe - und viele auch an Gott. Glauben scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein. Die Jugend Akademie Allermöhe und die Junge Akademie für Zukunftsfragen haben in einem Projekt 150 Hamburgern die Glaubensfrage gestellt. Diesmal kommentiert Jörg Herrmann, Leiter der Evangelischen Akademie Hamburg, zwei der Antworten

"Ich glaube an den Bestand von Gemeinschaften." Patrick (20)

Kommentar Jörg Herrmann: Na ja, würde ich sagen, Gemeinschaften können schon stabil sein und auch tragen. Und in einer Gesellschaft der Einzelkämpfer ist es nötig, den Gemeinschaftssinn hoch zu halten. Aber mein Herz würde ich dennoch nicht an die Gemeinschaft hängen. Ich bin da skeptischer als Patrick. Denn bei näherem Hinsehen erweisen sich Gemeinschaften als zweideutig und brüchig. Denken wir an die Familie, die Keimzelle aller Gemeinschaften. Da findet sich viel Gutes, aber eben auch Gewalt und Verrat von Kain und Abel bis heute. Familie, Fluch und Segen, sagen manche und loben die Freundschaft. Aber auch aus Freundschaft kann Feindschaft werden, das lehren uns auch die Evangelien: Von den zwölf Jüngern wird einer zum Verräter. Und Völker und Gesellschaften sind erst recht nicht besser, das lehrt nicht zuletzt ein Blick in die deutsche Geschichte. Ich glaube also, dass Gemeinschaften viel vermögen, aber zum Anker des Herzens sollte man sie nicht machen. Das gilt übrigens nach meiner Überzeugung für alles Endliche und Bedingte: Es ist zweideutig und fragil. Unbedingte Beständigkeit findet sich nur bei Gott. So gesehen glaube ich lieber an Gott als an die Kirche. Das heißt nicht, dass ich nicht in der Kirche, in der Familie, im Freundeskreis gute Erfahrungen machen kann und vielleicht sogar im Anderen Gott begegnen kann. Und bei all dem dürfen wir sicher auch nicht vergessen: Menschen sind Gemeinschaftswesen, sie brauchen die Gemeinschaft zum Leben. Darum tut Ausgrenzung auch so weh. Besinnen wir uns also auf unsere Gemeinschaften, aber machen wir keine Götzen aus ihnen.

"Ich glaube an Gott und an die Zukunft." Waltraud (67)

Kommentar Jörg Herrmann: Es gefällt mir, dass Waltraud ihren Blick mit 67 Jahren so offensiv in die Zukunft richtet. Gerade ältere Menschen neigen ja manchmal dazu, sich in die Vergangenheit zu verkriechen und den guten alten Zeiten nachzutrauern. Das hat sein Recht, ohne Frage. Aber der Blick zurück darf nicht zur alles bestimmenden Perspektive werden, dann verfehlen wir unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Darum betont der christliche Glaube die Bedeutung von Gegenwart und Zukunft. Der evangelische Theologe Rudolf Bultmann ging sogar so weit zu sagen: "Glauben heißt Offensein für die Zukunft." Damit ist bestimmt nicht alles über den christlichen Glauben gesagt, aber doch ein wichtiger Aspekt hervorgehoben. Wer glaubt, kann ohne Angst nach vorn blicken, Vertrauen öffnet die Augen. Dass Waltraud ihren Glauben mit dem Thema Zukunft verbindet, hat also schon seinen tieferen Sinn. Denn der Gottesglaube bedeutet ja, einer Macht zu vertrauen, die dem Einzelnen, aber auch der Gesellschaft Perspektiven eröffnen will, die uns in eine gute Zukunft leiten will.

Sicher, nicht alles wird in diesem Leben wieder gut. Wir bleiben auf den Trost der Bibel angewiesen, auf die Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde ohne Leid und Schmerz. Aber der Glaube an Gott kann uns doch zuversichtlich machen. Er kann uns aufmerksam machen für das Gute, das uns in vielen Begegnungen schon hier und jetzt entgegenkommt, er kann uns empfänglich machen für das Neue, das die Zukunft bringt - für das manchmal unerwartet nahe und dann auch wieder ferne Himmelreich.