Hülya Welkert ist von Geburt an blind. Die dreifache Mutter führt dennoch ein fast normales Leben

Wenn wir morgens aufwachen, werden wir geblendet, reiben uns die Augen und blinzeln. Nun stellen sich unsere Augen auf die Helligkeit ein, und wir können sehen wie jedermann. Jedermann? Nein, es gibt jene, die ohne das Licht ihrer Augen leben müssen. Wenn Hülya Welkert morgens aus dem Fenster schaut, kann sie nur undeutlich erkennen, dass sich vor ihr eine helle Wand befindet. Sie ist seit ihrer Geburt blind. Und dennoch, diese Frau strahlt vor Lebensfreude. Sie lebt mit ihrem Mann und den drei Kindern in einer ganz normalen Wohnung.

Und sie ist sehr sportlich: Gerade wurde sie in die deutsche Nationalmannschaft der paraolympischen Sportart "Goalball" geholt. In diesem Sport geht es um das wichtigste Sinnesorgan der Blinden: das Gehör. Ein Ball, in dem Glocken eingearbeitet sind, wird auf dem Boden rollend von den Spielern von einem Tor zum anderen gespielt.

Bei ihrem zweiten intensiven Hobby kommt ein anderes wichtiges Organ zum Einsatz: Hülyas Tastsinn. Sie formt Tonfiguren mit solch einer Präzision und Detail-Liebe, dass man nie annehmen würde, dass sie von einer Blinden erschaffen wurden.

Während des Gesprächs hält sie plötzlich inne, nimmt ein Geräusch wahr. Sie dreht sich um. Eines ihrer Kinder hat den Raum betreten. Hülya hört die Schritte, spürt die Erschütterung des Bodens, sie lächelt.

Ihre Kinder gewöhnten sich schnell daran, dass mit Mama etwas "nicht stimmt". Die älteste Tochter wusste mit zwei Jahren, dass ihre Mutter auf Fragen nach Farben oder Bildern nicht antworten konnte.

Wenn Hülya heute etwas runterfällt und sie lange danach sucht, kommt selbst die Kleinste mit gerade mal drei Jahren an und gibt ihrer Mutter den verlorenen Gegenstand direkt in die Hand. Dennoch gibt es viele Schwierigkeiten auch im Umgang mit den Kindern. Zum Beispiel bei der Hausaufgabenbetreuung. Wenn man nichts sehen kann, kann man den Kindern in schulischen Dingen nur helfen, wenn sie es einem vorlesen.

In den eigenen vier Wänden hat Hülya kaum Orientierungsprobleme. Als Blinde kann sie hören, wenn eine Wand zu Ende ist oder nicht. "Wichtig ist allerdings, dass alles immer auf seinem gewohnten Platz steht, was kleinen Kindern oft nicht leicht zu vermitteln ist", sagt sie.

Ein weiteres Problem sind Türen. Ob eine Tür offen oder zu ist, erkennt Hülya am Schall - wenn sie halb geöffnet ist, wird sie für die junge Frau zum Problem. Vor Kurzem stieß sich Hülya den Kopf an einer solchen Tür; nahm es aber mit Humor. "Mittlerweile habeich einen richtigen Dickschädel", sagt Hülya und greift sich lachend an den Kopf. In der Welt außerhalb der Wohnung sind die Orientierungsprobleme viel größer: Dort wimmelt es nur so von Gefahren und Unwegsamkeiten. Bus- und Bahntüren, Läden, Straßen, Passanten - alles Hindernisse, die Hülya täglich "umschiffen" muss.

Dafür hat sie eine "Steuerhilfe": Der Blindenhund Anton ersetzt im Straßenverkehr Hülyas Augen. Auf ihn kann sie sich voll verlassen. Der schlaue Vierbeiner kann rechts von links unterscheiden, Bustüren suchen und findet auf Kommando den besten Weg. Bei Gefahr verweigert er allerdings den Befehl seines Frauchens. Zudem gibt der treue Freund neben Mobilität und Sicherheit der ganzen Familie viel Freude undLebensqualität.

Trotz all dieser Probleme lebtHülya ein mehr oder minder normales Leben. Das liegt vor allem an ihremHumor, ihrer Gelassenheit und ihrer nahezu unermesslichen Energie.

Ob mit oder ohne Augenlicht - das Leben ist das, was man daraus macht.