"Das war ein Mordanschlag, eindeutig. Ich hätte hopsgehen können." Vor meiner Wohnungstür steht Herr M., 68 Jahre alt, Rentner. Um sich die Zeit zu vertreiben, hat er sich ein neues Hobby gesucht - er treibt seine Nachbarn in den Wahnsinn. "Gerade betrete ich noch einmal meine Terrasse, da segelt ein riesengroßer Terrakottatopf hinab", sagt er. "Haarscharf schlägt er neben mir ein. Ich habe mit drei Personen gesprochen, die sicher sind, dass der Topf von deinem Balkon kommt."

Erst bin ich verwirrt, dann bitte ich den rotgesichtigen Mann, mir das Corpus Delicti zu zeigen. Triumphierend hält er ein kleines Plastiktöpfchen hin, in dem sich etwas Erde befindet. Ich halte es für möglich, dass der Wind es mitsamt einem verdorrten Basilikum von meinem Balkon geweht hat. "Das ist also der große Terrakottatopf. Ich würde Ihnen eine Anzeige wegen versuchten Mordes empfehlen", sage ich nur und lasse den verblüfften Mann stehen.

Nachbarn - jeder der in einem Mietshaus wohnt, kennt dieses Problem. Sie sind über einem, unter einem, neben einem. Ich räume ein, dass es durchaus nette Mitbewohner gibt. Aber in keinem Haus fehlt er, der Stänkerer, der sich beschwert, wo er nur kann, sei es über den Kinderwagen im Treppenhaus, eine laufende Waschmaschine in der Mittagsruhe, ein Paar Gummistiefel vor der Wohnungstür.

Er verbringt Stunden am Tag vor dem Spion oder am Fenster, beobachtet und lauscht. Bemerkt er etwas Verdächtiges, kommt er herausgeschossen oder beschwert sich beim Hausmeister.

Menschen, die zu eng beieinander wohnen, haben anscheinend einen Hang zu Zank und Zwietracht. Dieses Problem gab es schon immer, mit der Zeit hat es sich aber rapide verschlimmert. Wegen einer Lappalie den Anwalt anzurufen ist nichts Ungewöhnliches mehr. Über eine halbe Million Gerichtsverfahren zwischen zerstrittenen Nachbarn finden laut "Bild" und "RTL" im Jahr in Deutschland statt.

Das ist wirklich nicht nötig. Vielleicht sollte man eher nach den Ursachen für das Verhalten von Menschen wie Herrn M. forschen. Gerade alte Leute vereinsamen oft. Ich bezweifle, dass Herr M. viel Kontakt mit anderen Menschen hat. Bestimmt würde er ein ganz anderer Mann sein, wenn man ihn auf eine Tasse Tee einlüde. Das könnte ich ja mal ausprobieren.