Constantinos Carydis dirigiert beim NDR Sinfonieorchester ein russisch-märchenhaftes Programm

In alten Zeiten soll das Wünschen noch geholfen haben. Zumindest behauptet das einer jener Zaubersätze, mit denen Märchen anzuheben pflegen, die Zuhörer in eine ferne Welt entführen. Nun ist im Märchen ja keineswegs immer alles in Butter. Davon kann sich das Publikum hörend überzeugen, wenn Ende März der griechische Dirigent Constantinos Carydis beim NDR Sinfonieorchester zu Gast ist.

Er eröffnet sein Programm mit "Kikimora", einer "Legende für Orchester" von Anatoli Ljadow nach einer russischen Volkssage. In der sinfonischen Dichtung aus dem Jahre 1905 geht es nicht um bildschöne Prinzessinnen, die von tapferen Prinzen gerettet werden, sondern um die ziemlich hässliche und unfreundliche Hexe Kikimora. Sie wächst bei einem Zauberer im Gebirge auf, macht sich aber schon mit gerade mal sieben Jahren auf, Unheil unter die Menschen zu bringen.

Die vielfarbig orchestrierte Miniatur ist das Fragment eines gescheiterten Opernprojekts. Ljadow hatte Zeitgenossen zufolge lebenslang mit Faulheit und Zügellosigkeit zu kämpfen; sein Kompositionslehrer Nikolai Rimski-Korsakow schloss ihn wegen zu häufigen Fehlens vom Unterricht im Petersburger Konservatorium aus.

Der gestrenge Professor hatte mit der Selbstdisziplin offenbar weniger Schwierigkeiten. Jedenfalls gehört sein Oeuvre zum Kanon des klassischen Konzertbetriebs, zuallererst natürlich die Sinfonische Suite "Scheherazade", die das NDR Sinfonieorchester ebenfalls zu Gehör bringt. Die ist nun, darauf legte Rimski-Korsakow Wert, keine Programmmusik im engeren Sinne. Eine präzise musikalische Schilderung der Märchen aus Tausendundeiner Nacht enthält der Komponist seinen Hörern also vor - nicht aber das hinreißende, stets wiederkehrende Violinsolo, das klingende Porträt der schönen Wesirstochter und Titelfigur. Während der grimmige Sultan ihre Vorgängerinnen zu heiraten und anderntags - als Rache für früher erlittene Untreue - nach Vollzug der Ehe hinrichten zu lassen pflegte lässt sich Scheherazade drei Jahre und drei Schwangerschaften hindurch Nacht für Nacht in bester Fernsehserienmanier einen Cliffhanger einfallen, sodass der Sultan den Ausgang der Geschichte leider, leider noch um eine weitere Nacht abwarten muss. Wäre sie weniger listig gewesen, welche unsterblichen Märchen wären uns entgangen - und welch orientalische Klangpracht aus der Feder eines westlich geprägten Russen!

Mit Märchenhaftem hatte Dmitri Schostakowitsch weniger im Sinn, als er 1959 sein Cellokonzert in Es-Dur schrieb. Da war der Diktator Stalin bereits sechs Jahre tot. Doch Stalins Verachtung zeitgenössischer Kunst, die für die Musiker, Maler und Schriftsteller jahrzehntelang eine existenzielle Gefahr darstellte, wirkte nach. Schostakowitsch war ein gebrochener Mann; seine andeutungsreiche, sich formal stets im Rahmen des Zulässigen haltende Musik zeugt von seinem Ringen um Wahrhaftigkeit in Zeiten der Unterdrückung.

Der Kopfsatz des Cellokonzerts ist von motorischer Unruhe geprägt. Erst im langsamen Satz wagt der Komponist weite Melodielinien, im dritten gar eine Kadenz für das Cello. Und das Finale hält für die Solistin Sol Gabetta nicht nur gepfeffert schwere Stellen bereit, sondern auch orientalisch angehauchte Passagen. Wer weiß, welche Märchen der Komponist im Kopf hatte. Vielleicht ja sogar welche mit gutem Ausgang.

Abo-Konzert 29.3., 20.00, 1.4., 11.00, Laeiszhalle. Karten unter T. 0180/178 79 80* oder www.ndrticketshop.de