Dienstagabend im Ohnsorg-Theater. Der königsblaue Vorhang öffnet sich. So hätte es die Volksschauspielerin auch gewollt

Still ist es im Ohnsorg-Theater, sehr still. Im Kontrast zur sonst hier alltäglichen Heiterkeit. An diesem Abend jedoch ist alles ganz anders. "Heidi Kabel ist von uns gegangen", sagt der Herr in Schwarz oben auf der Bühne. Es ist Oberspielleiter Frank Grupe. "Ein Stück Ohnsorg und Hamburg ging unwiederbringlich verloren", fährt er fort. Man sei traurig und bestürzt: "Wir spielen für Heidi Kabel." Das Publikum schweigt in Andacht. Dann öffnet sich der königsblaue Vorhang.

"Nix as Sand" stand gestern auf dem Programm, eine eigentlich brüllend komische Komödie - op Platt natürlich. Bodenständiger Spaß mit Witz und Herz. Ganz nach dem Geschmack der Verstorbenen.

"Am allerwenigsten hätte sich Heidi heute eine Vorstellung mit Trauerflor gewünscht", hat Kollege Jürgen Lederer unmittelbar vor seinem Einsatz gesagt. Jahrelang spielte er an der Seite der Verstorbenen. Wenn's mal kritisch wurde, habe sie ein Rezept parat gehabt. Nun gelte dieses auch für die Trauernden: "Dor möt wi dörch!" Jetzt muss da auch Jasper Vogt durch. Seit 34 Jahren wirkt er im Ensemble und animierte die Zuschauer gemeinsam mit der berühmten Kollegin mehr als tausendmal zu höchster Heiterkeit: "Nicht nur in ihrer Heimatstadt wird Heidi Kabel unvergessen bleiben."

Die Königin der Volksschauspieler ist in aller Munde - und optisch präsent. Unverändert. Vor dem Ohnsorg-Café hängt ein Ölgemälde von Hans-Albert Dithmer, eine Reverenz zu Heidi Kabels 75. Geburtstag. 20 Jahre ist das her. In den Vitrinen liegen DVDs und CDs, allesamt Erinnerungen an urkomische, bisweilen herzergreifende, in jedem Fall unvergessene Stunden. "Mein Mann fährt zur See". Oder "Verteufelte Zeiten"; "die" Kabel gemeinsam mit "Sir Henry" Vahl sowie Edgar Bessen. Legendär. An den Wänden sind großformatige Fotos der Doyenne zu sehen. Aus dem Stück "Suuregurkentied" oder, gleichfalls grandios, aus "Keen Utkommen mit dat Inkommen". Und immer wieder ist dieser Satz zu hören: "Weißt du noch?" Er wird weiterklingen, das ist sicher.

Dutzende Besucher nutzen das Kondolenzbuch im Foyer; auch Passanten tragen sich in das schwarze Lederbuch ein. "Danke für die schönen Stunden", notieren Nicole und Annette. "Vielen Dank, dass ich durch Sie so viel lachen durfte. Tschüs." steht darüber geschrieben. "Sie haben mir Theater schon als Kind nahegebracht", hält ein Mann fest. Auch Alex und Markus aus dem Schwarzwald bekunden ihr Beileid. Gepaart mit Dankbarkeit. Ein anderer bringt seine Gefühle so auf den Punkt: "Tschüs, Heidi!"

Während der Aufführung bleiben Menschen in den Großen Bleichen stehen, verharren nachdenklich. "Heidi Kabel ist untrennbar mit meiner Kindheit verbunden", sagt Werner Wanesis aus Lokstedt. Noch immer denke er gerührt an das Sonnabend-Programm einer vergangenen Ära zurück: Badewanne, im Frotteemantel aufs Sofa vor den Fernseher, ausnahmsweise dort Butterbrot essen ... und nach der "Tagesschau" Ohnsorg-Theater mit Heidi Kabel. Ein Ritual, eine wunderschöne Reminiszenz an eine heile Welt.

Um 20 Uhr verschließt Carmen Schneider ihr Kassenhäuschen. Auch sie erzählt von damals, zudem von Heidi Kabel als Kundin. Immer wieder kam sie nach ihrem Bühnenabschied auf einen Abend vorbei. "Unkompliziert, höflich und charmant", weiß Frau Schneider aus eigener Erfahrung. An Schönes denkt auch Dorothee Schwandt aus Halstenbek: "Irgendwie war Heidi immer schon da." Sie sei eine Seele von Mensch gewesen und habe ihr großes Herz auf der Zunge getragen. Selbst im Auslandsurlaub, berichtet Frau Schwandt, sei sie auf die großartige Volksschauspielerin angesprochen worden. "Sogar von Bayern."

Ein Pulk hat sich vor der Theaterpassage versammelt. Jedem fällt eine andere Episode persönlicher Verbindung mit der Verstorbenen ein: "Ich weiß noch ganz genau ..." Eine junge Dame um die dreißig mischt sich ein. "Ich war noch nie im Ohnsorg", sagt sie. "Aber Heidi Kabel habe ich hoch geachtet." Ob ihres bescheidenen Naturells und ihres hanseatischen Habitus. Mehr Sein als Schein, diese Rolle habe sie grandios verkörpert.

"Was ist los?", fragt ein älterer Herr in Nadelstreifen und mit Aktenkoffer. Als er den Grund erfährt, senkt er kurz sein Haupt, ruft dann dennoch gut gelaunt: "Tratsch im Treppenhaus." Dieses Stück habe er an der Seite seiner Eltern im Theater erlebt, irgendwann Mitte der 60er müsse das gewesen sein. Und noch ein Schauspiel hat der Mann spontan auf Lager: "Manda Voss ward 106." Hebbt wi lacht. Unvergessen.

Im Saal läuft die Vorstellung weiter. Ganz normal. Um 22 Uhr sinkt der Vorhang. So wie immer. Aber doch ist heute Abend alles ganz anders. Einige verlassen schweigend das Ohnsorg-Theater, andere lächeln. Ganz im Sinne von Heidi Bertha Auguste Kabel, die Trübsal ganz und gar nicht schätzte. "Kinners, ihr sollt die Sonne sehen, nicht den Schatten", hat sie einmal gesagt.

Dann sei es auch so.