Kostendruck und Bürokratie: Medizinern fehlt der Nachwuchs

Professor Karl-Heinz Wehkamp praktizierte 15 Jahre lang als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie als Psychotherapeut in einem Klinikum für Maximalversorgung, bevor er sich von seinem erlernten Beruf abwandte. Der Grund: Ärger über Herrschaftsstrukturen, "die einschüchternd, autoritär und aus sozialer Sicht extrem ungerecht gewirkt haben".

Wehkamp, der inzwischen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg im Fach Gesundheitswissenschaften lehrt, bemerkt zwar eine Besserung hinsichtlich der Strukturen, die ihm das Arztdasein verleideten, "dafür werden nun vor allem junge Ärzte durch die zunehmende Ökonomisierung buchstäblich verheizt", beobachtet er.

Die negativen Konsequenzen des Kostendrucks für Ärzte sprach auch Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler - übrigens der erste Arzt in diesem Amt in Deutschland - auf dem Ärztetag in Dresden am 11. Mai an. Dort betonte er, wenn Ärzte vor der Entscheidung stünden, entweder den Patienten zu behandeln oder das Budget einzuhalten, sei das "kein faires System". So sei denn die sinkende Attraktivität des Arztberufes sicher ein Grund für den zunehmenden Ärztemangel, über den Rösler generell sagte: "Gesundheitspolitik ist dann gut, wenn ich vor Ort einen Arzt finde und wenn ich dort auch möglichst schnell einen Termin bekomme. Und deshalb haben wir das Thema Versorgung auf Bundesebene aufgegriffen."

Zur Lösung des Problems müssten eine Reihe von Maßnahmen diskutiert werden, darunter auch "die Frage der Honorierung". Hier strebt Rösler eine Honorarreform für Hausärzte an. Und er spricht auch das Thema der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) an. Diese bieten eine attraktive Organisationsform für angestellte Ärzte, auch als weitere Alternative zur wirtschaftlich risikoreichen Praxisgründung.

Doch die Investitionsbereitschaft großer Kapitalgesellschaften macht ihm Sorgen. "Ich halte es für falsch, wenn Aktiengesellschaften sagen: Wir unterstützen Medizinische Versorgungszentren. Denn dann läuft man Gefahr, dass die MVZ am Ende eben doch eher nach den Regeln von Kapitalmärkten funktionieren und nicht nach den Regeln der Freiberuflichkeit." Und unter eben dieser Freiberuflichkeit versteht er die von betriebswirtschaftlichen Vorgaben unabhängige Entscheidung über therapeutische Maßnahmen. Von Ausnahmen etwa in strukturschwachen Regionen abgesehen, müssten die MVZ deshalb unbedingt in den Händen der Ärzte verbleiben, betont Rösler.

Auch das Medizinstudium ist für den Minister ein wichtiger Ansatzpunkt, doch Änderungen dürften keinesfalls auf Kosten der Qualität des Studiums gehen. Keine Option ist für ihn deshalb eine Verkürzung der Studienzeit. Doch er erklärt: "Ich glaube, es macht Sinn zum einen über den Zugang nachzudenken, zum anderen aber auch über das Studium selbst."

Auch eine Landarztquote steht in diesem Zusammenhang im Raum - ein Ansatz, von dem Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Marburger Bundes in Hamburg, nicht viel hält. "Hier verpflichten sich junge Menschen im Alter von vielleicht 20 Jahren, die im Laufe der folgenden zwölfjährigen Ausbildung in der Großstadt leben, studieren und vielleicht eine Familie gründen und dann plötzlich mit Anfang 30 aufs Land verpflanzt werden. Da wird es viele geben, die versuchen, sich ihrer Verpflichtung zu entziehen." Montgomery, der außerdem das Amt des Vizepräsidenten der Bundesärztekammer und des Präsidenten der Ärztekammer Hamburg bekleidet, fordert vielmehr "Verbesserungen in der Infrastruktur ländlicher Regionen. Es müssen Anreize geschaffen werden, um die Arbeit auf dem Land attraktiver zu machen."

Bei der Frage, wie diese aussehen könnten, denkt Montgomery zunächst an die Arbeitsbedingungen und nennt "attraktive Praxisräume und medizinisch-qualifiziertes Hilfspersonal", hat aber auch die Familien der umworbenen Ärzte im Blick. "Es muss für die Kinder Schulen - oder wenigstens Schulbusse zu den nächstgelegenen Schulen geben - und für die Partner Arbeitsplätze." Dass dies weitreichende Forderungen sind, ist Montgomery durchaus klar. "Hier ist die Kommunalpolitik gefragt, und natürlich wird es nicht schnell gehen. Eine jahrelang verfehlte Strukturpolitik lässt sich nicht von heute auf morgen ausgleichen."

Ein Ansatz, fehlende Mediziner schnell einzuwerben, ist das Auslands-Recruiting. Hier ist die Bundesagentur für Arbeit bereits seit einigen Jahren aktiv, wenn auch noch nicht flächendeckend, sondern mit punktuellen Veranstaltungen, die in den vergangenen Jahren etwa in Österreich und in Ungarn stattgefunden haben. "In Budapest hatten wir im März eine deutschsprachige Jobbörse. Die dortige Arbeitsverwaltung hatte im Vorfeld Gespräche geführt, sodass den angereisten Arbeitgebern ausgewählte Bewerber präsentiert werden konnten", sagt Dr. Beate Raabe, Pressesprecherin der Zentralen Auslandsvermittlung in Bonn, die sowohl für die Vermittlung ins als auch aus dem Ausland zuständig ist.

"Unter den Interessenten waren viele junge Assistenzärzte im Alter von etwa 25 bis 30 Jahren aus allen Fachrichtungen." Gesucht würden vor allem Chirurgen und Fachärzte für Innere Medizin, "aber nicht nur", weiß Raabe. Zahlen darüber, wie viele Arbeitsverträge letztlich zustande gekommen sind, liegen der ZAV jedoch nicht vor.

Unter den ungarischen Interessenten waren tendenziell mehr Frauen als Männer. Ein Trend, der auch in Deutschland als Feminisierung der Medizin bekannt ist und der auch Minister Rösler zu der Erkenntnis führt, "wir müssen an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf denken. Meine Bitte an die Kliniken: auch darüber nachzudenken, den Arbeitsalltag anders zu strukturieren, als es bisher der Fall ist, um vielleicht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser möglich zu machen."

Diese Bitte bleibt nicht ungehört. "Zwar unterliegt im Krankenhausbetrieb die Arbeitszeit der Beschäftigten besonderen Bedingungen, da die Versorgung der Patienten rund um die Uhr sichergestellt werden muss. Dennoch zeigen bereits die Erfahrungen in verschiedenen Kliniken, dass mit entsprechender Organisation flexible Arbeitszeitmodelle durchaus möglich sind", sagt Georg Baum, Hauptgeschäftsführer Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG).

Auch in Sachen Kinderbetreuung gäbe es zahlreiche erfolgreiche Modelle, von der Einrichtung betriebseigener Kindertagesstätten über die Etablierung eines Eltern-Kind-Zimmers, wo beispielsweise Schulkinder in Ruhe ihre Hausarbeiten erledigen könnten bis hin zu Kinderbetreuungszuschüssen. Solche und weitere Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollen interessierten Kliniken im Spätsommer oder Herbst bei einem Symposium vorgestellt werden.