Krzysztof Penderecki und sein “Polnisches Requiem“

Wenn Krzysztof Penderecki nach Hamburg kommt, ist das wie der Besuch eines guten alten Bekannten. Seit den frühen 1960er-Jahren und den stürmischen Zeiten der Avantgarde ist der polnische Komponist der Stadt verbunden. Sein Streicherstück "Polymorphia", ein Auftragswerk des NDR, wurde hier 1962 uraufgeführt. Die Hamburgische Staatsoper brachte 1969 in der Ära Liebermann seine Oper "Die Teufel von Loudun" heraus. Und von 1988 bis 1992 war Penderecki Erster Gastdirigent des NDR Sinfonieorchesters.

Mit schöner Regelmäßigkeit alle zwei, drei Jahre kommt der "letzte Mohikaner der großen Form", wie er sich selber nennt, seitdem in die Hansestadt. Zuletzt leitete er hier 2008 seine Achte Sinfonie, "Lieder der Vergänglichkeit". Dass er kein großer Taktstockvirtuose ist, ficht weder ihn noch sein Publikum an. Pendereckis Musik unter Pendereckis Leitung ist immer wieder ein Ereignis.

Als Dirigent und Komponist mag er umstritten sein - eines ist er mit Sicherheit: ein großer Kommunikator. Seine Kritiker werfen ihm vor, er habe die Avantgarde verraten; für Penderecki aber hat die Avantgarde die Musik und die Hörer verraten. Er bezeichnet sich als "Romantiker" und weiß das Publikum auf seiner Seite: "Ich habe in Berlin auf dem Kirchentag 2003 mein Credo vor über 8000 Leuten aufgeführt, und sie haben das verstanden. Ist nicht das die Art, wie man schreiben sollte?"

Nach Jahrzehnten des Grundsatzstreites ist der polnische Maestro heute ein bekennender Pragmatiker. Er schreibt, wonach ihm ist; Cluster und Choräle stehen einträchtig-effektvoll nebeneinander: "Man kann viel streiten, aber der hat recht, der noch in 100 Jahren gespielt wird", lautet sein liebstes Argument im Grabenkampf mit den Theoretikern der Neuen Musik. "Meine Musik wird schon seit 50 Jahren gespielt, wir werden sehen."

Das monumental besetzte "Polnische Requiem", mit dem Penderecki nun in die Hauptkirche St. Michaelis kommt, markiert jene Zeit des Wandels Anfang der 80er-Jahre, in der aus dem ehemaligen Klangforscher und Avantgardisten ein bekennender Konservativer und Verfechter einer "Musik mit Wurzeln" wurde. Jeder der Requiem-Teile ist einem Ereignis oder einer Person der jüngeren polnischen Geschichte gewidmet.

Das Lacrimosa entstand 1980 für Lech Walesa und die "Solidarnosc" in Erinnerung an jene Danziger Werftarbeiter, die 1970 bei Auseinandersetzungen mit dem kommunistischen Regime ums Leben gekommen waren. 1981 folgte das Agnus Dei zum Gedenken an den Kardinal Wyszynski, eine Leitfigur der polnischen Kirche. Ein Jahr später entstand das Recordare Jesu pie zur Seligsprechung des Paters Maximilian Kolbe, der 1941 in Auschwitz freiwillig für einen Mitgefangenen in den Tod gegangen war. Das Dies Irae schrieb Penderecki 1984 zum 40. Jahrestag des Warschauer Aufstands, während das Libera me an das Massaker von Katyn erinnert, das sowjetische Einheiten 1940 an polnischen Offizieren verübten.

Im Jahr 1993 erweiterte der Komponist das Requiem um ein Sanctus. Und 2005 kam noch die Ciaccona in memoriam Johannes Paul II. im Gedenken an den aus Polen stammenden Papst hinzu. Das Ganze ergibt das Bild eines von Krieg und Diktatur, aber auch von erfolgreichem Aufbegehren geprägten Jahrhunderts; eingewoben in die Musik ist der traditionelle Hymnus "Swiety Boze" (Heiliger, Allmächtiger und Ewiger Gott, sei uns gnädig) als Symbol des polnischen Widerstandsgeistes.

Doch auch wenn es zum größten Teil in jenen Jahren entstanden ist, in denen in Polen Kriegsrecht herrschte, als "politische Musik" möchte Penderecki sein Werk nicht verstanden wissen. "Politische Musik veraltet schnell." Das Requiem sollte in einer schweren Zeit seinen Landsleuten Mut machen. Es ist "bestimmten Personen und Ereignissen gewidmet", so Krzysztof Penderecki, "doch seine Musik hat eine viel grundlegendere Bedeutung".

Vertonte Hoffnung 14.8. Hamburg