Geteilt, geknechtet und doch ein Volk: Das politisch bewegte Schicksal Polens spiegelt sich in seiner Musikgeschichte

Das wichtigste Wort der polnischen Geschichte lautet "Trotzdem". "Noch ist Polen nicht verloren" beginnt die polnische Nationalhymne; sie steht beispielhaft für die Identität eines Landes zwischen Unterdrückung und Aufbegehren, Hoffnung und Resignation. Es ist ein besonderes Schicksal, dass im Herzen des Europas ein Volk jahrhundertelang barbarische Zustände überleben musste wie Teilung, Fremdherrschaft und die unvorstellbaren Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs.

Vom Werden und Leiden des Musiklands Polen erzählt das diesjährige Schleswig-Holstein Musik Festival in unterschiedlichsten Veranstaltungen. Das Ensemble alla polacca erinnert an jene goldene Zeit, in der der polnische Königshof ein blühendes Zentrum europäischer Kultur war - das ungeachtet der heraufziehenden politischen Wirren. Nach und nach entstanden auch an kleineren Adelshöfen Kapellen. Mit Arien, Kantaten und Concerti polnischer Komponisten begeben sich die Musiker auf eine Spurensuche "Von Krakau bis Danzig" (24.7. Glückstadt).

Den umgekehrten Blickpunkt nehmen die gefeierte Gambistin Hille Perl, der Lautenist Lee Santana und das polnische Ensemble Arte di Suonatori ein: Bei ihren Konzerten in Rellingen und Marne (21.7. und 22.7.) kommen deutsche Komponisten der Zeit zu Ton, unter ihnen Georg Philipp Telemann. Der war fasziniert von der polnischen Volksmusik und hat Elemente daraus in seinem "Concerto polon" verarbeitet.

Selbst während der 123 Jahre, in denen Polen zwischen Preußen, Russland und Österreich geteilt war, hat es sich seine kulturelle Identität bewahrt. Niemand verkörpert diese wie Frederic Chopin (1810-1849), einer der größten Komponisten der Romantik überhaupt. Seine eingängigen, intelligent strukturierten Kompositionen haben seiner Nation ohne aufgesetzte Folklore ein musikalisches Idiom verliehen. Klingenden Ausdruck fand das neue Nationalbewusstsein Stanislaw Moniuszko in der Oper "Halka" (22.8. Kiel).

Polens kultureller Reichtum rührt aber auch von der religiösen Vielfalt her. Bis ins 20. Jahrhundert hinein prägten jüdische Schtetl das Bild polnischer Städte mit. Der spätere Literaturnobelpreisträger Isaac Bashevis Singer etwa ist in einer bitterarmen Warschauer Straße aufgewachsen. Den Jahren 1909 bis 1917 setzte er mit "Eine Kindheit in Warschau" ein Denkmal. Am 20. Juli rezitiert in Pronstorf der jüdische Schauspieler Michael Degen Auszüge aus dem Werk, das Minguet Quartett flicht um die Textpassagen herum ein beziehungsreiches Programm von Schubert bis Schulhoff.

Arme Zeiten waren es zweifellos - aber harmlos gegen das, was die polnischen Juden nach 1939 an nationalsozialistischem Terror haben erleiden müssen. Viel ist darüber geschrieben worden, gesprochen, gerätselt; die Schoah, die in Polen besonders entsetzlich tobte, wird wohl nie restlos zu verstehen sein. Fassbar sind noch am ehesten konkret erzählte Einzelschicksale. Das erklärt etwa den Erfolg von Roman Polanskis Spielfilm "Der Pianist". Die Geschichte von Wlasyslaw Szpilman, den sein Klavierspiel vor dem Tod errettet, klingt beinahe zu gut erfunden. Aber sie ist wahr. Am 8. August rezitiert der Schauspieler Ulrich Matthes im Kieler Schloss aus den Erinnerungen des Künstlers; dazu spielt Mikhail Rudy Werke von Chopin und Szpilman.

Mit dem finstersten Kapitel der polnischen Geschichte befasst sich auch die Ausstellung "Musik in Polen 1939-1945", die ab dem 17. Juli im Kieler Schloss zu sehen ist. Zuvor bringen die Sopranistin Eleonore Marguerre, drei Bläser und das Aperto Piano Quartet Werke polnischer Komponisten zu Gehör, darunter "Huits chants populaires juifs" von Syzmon Laks, dem Leiter der Männerlagerkapelle in Auschwitz.

Auch nach 40 Jahren kommunistischer Herrschaft sind die Wunden des Zweiten Weltkriegs in Polen nicht verheilt. Der Name Katyn, wo vor 70 Jahren der sowjetische Geheimdienst tausende polnische Offiziere und Intellektuelle erschoss, steht noch heute für ein nationales Trauma. Das hat der Flugzeugabsturz, der vor wenigen Wochen Polens Präsident Lech Kaczynski und seine Frau das Leben kostete, in grauenerregender Symbolik ins Bewusstsein gerufen. Musik aus der Zeit des Kommunismus bringt die Sinfonia Varsovia zu Gehör (17.7. Kiel, 18.7. Elmshorn). Die Leitung hat der 1982 geborene Dirigent Krzystzof Urbanski, ein Repräsentant der postsowjetischen Zeit, des hoffnungsvollen Aufbruchs in eine selbstbestimmte, freiheitliche Zukunft.