Die Kunst der Liedbegleitung: ein Gespräch mit dem Pianisten Norman Shetler.

Er ist ein Grandseigneur unter den Liedpianisten: Der Amerikaner, Wahlwiener und Puppenspieler Norman Shetler (78), im Hauptberuf Begleiter so bedeutender Sänger wie Margret Price und Dietrich Fischer-Dieskau. Im Mai kommt Shetler zum fünften Mal ans Konservatorium und gibt mit Knut Schoch, Tenor und Gesangsdozent, einen Meisterkurs für Liedinterpretation. Der Kurs ist offen für bestehende Liedduos und Gasthörer. Das Abendblatt hat mit Norman Shetler gesprochen.

Abendblatt:

Herr Shetler, was macht einen Liedpianisten aus?

Norman Shetler:

Ein guter Liedpianist erfasst intuitiv die Persönlichkeit seines Partners. Er erkennt, welche winzige Veränderungen im Tempo, welche Atempausen der Sänger braucht, und reagiert sofort.

Abendblatt:

Sollte der Pianist dem Sänger bei aller Einfühlsamkeit nicht auch etwas entgegensetzen?

Shetler:

Das ist ein bisschen wie bei der Liebe. Der eine gibt, der andere erwidert.

Abendblatt:

Was ist denn der spezifische Unterschied zwischen einem Liedpianisten und, sagen wir, einem Kammermusiker?

Shetler:

Man braucht eine andere Dynamik als bei Streichinstrumenten. Um den Sänger zu unterstützen, muss der Pianist die eigene Dynamik stark variieren - manchmal sogar im Voraus.

Abendblatt:

Sind Liedpianisten also Flüsterer?

Shetler:

Unerfahrene Pianisten spielen ständig leiser, als der Sänger singt. Aber Sänger brauchen eine starke Basis. Wenn eine Sopranistin ein hohes A im Fortissimo singt und das Klavier nur Mezzoforte spielt, fehlt diese Basis.

Abendblatt:

Was geben Sie jungen Pianisten mit?

Shetler:

Grundlegende Dinge werden oft nicht beachtet. Man muss auf den Liedtext achten, auf die Noten, auf die Pausen - und auf die Gebrauchsanweisung! "Mit Gefühl" oder Andante.

Meisterkurs Liedinterpretation 7. - 9.5., Konservatorium. Informationen und Anmeldung unter T. 87 08 77 19