Im Sommerurlaub 2006 fing alles an: Meine Familie und ich waren in Italien. Es gab gutes Essen, natürlich. Ich hatte noch ein bisschen Babyspeck auf den Rippen, kam bisher aber immer gut damit klar. In unserer Familie war Essen immer eine große Sache gewesen. Man probierte alles und ich mochte alles. Im Urlaub hatte ich zugelegt, deswegen machte ich auf dem Rückweg nach Deutschland einen Diätplan.

Das beunruhigte meine Eltern noch nicht. Sie dachten, es sei normal, dass ich ein bisschen abnehmen wollte. Anfangs war es das ja auch. Ich ließ das Franzbrötchen für die Schule und die zweite Portion Mittagessen weg. Ich nahm auch ab - aber dann wurde es schlimmer. Immer mehr Pfunde purzelten. Normal war das schon lange nicht mehr. Mein tägliches Essen bestand nur noch aus dem Abendessen, wenn man das so nennen konnte. Mal gab es einen kleinen Salat, Obst oder ein Wassereis. Wenn ich abends mal alleine war, aß ich oft gar nichts. Mein ganzes Leben plante ich nach dem Essen. Wenn eine Freundin zum Beispiel mit mir in die Eisdiele gehen wollte, dachte ich: "Okay, also machen wir das am besten am Dienstag. Dann esse ich den ganzen Tag nichts und nachmittags habe ich Tanzen."

Im nächsten Urlaub war ich schon nur noch Haut und Knochen. Im Bikini sah man erst, wie dünn ich geworden war. Meine Schlüsselbeine und Schulterblätter stachen hervor, mein Gesicht war eingefallen. Auf meinem Bauch war nur noch Haut, die Rippen und ein Sixpack zeichneten sich deutlich ab. Meine Knie und die Ellbogen waren zu groß für den Rest meines Körpers. Damals fand ich mich immer noch zu dick. Auch in Portugal gab es natürlich gutes Essen. Ich aß mehr als zu Hause, doch daran war mein Magen nicht mehr gewöhnt. Ich bekam Magen-Darm-Probleme. Wenn ich zu viel gegessen hatte, steckte ich mir den Finger in den Hals.

Es reichte meinen Eltern. Sie schickten mich zu einer Psychologin, die mir nicht helfen konnte. Sie verlangte von mir, radikal zuzunehmen, ansonsten würde sie mich nicht behandeln. Sie meinte, sie wolle nicht irgendwann mit Schuldgefühlen an meinem Grab stehen müssen. Ich musste es allein schaffen. Und das tat ich auch, mit der Hilfe meiner Familie und meiner Freunde. Etwa ein Jahr später sagte meine kleine Schwester zu mir: " Ich bin froh, dass du nicht mehr krank bist!" Ich wunderte mich: "Wieso krank?" "Mami meinte, du warst so dünn, weil du eine ganz schlimme Krankheit hattest."

J. S., 9d

Helene-Lange-Gymnasium