Die Flucht der Familie Bayat aus Afghanistan war ein einziger Albtraum. Aber sie bedeutete die Zukunft.

Die Erinnerungen an meine Kindheit sind schrecklich. Denn das Leben als kleines Mädchen unter der Herrschaft der Taliban war hart. Mein Vater flüchtete, als ich sechs Jahre alt war. Meine Eltern verabschiedeten sich unter Tränen. Ich erinnere mich sehr gut an diesen Tag. Mir wurde gesagt, dass mein Vater in ein friedliches Land verreist. Auch ich wollte einfach nur weg aus Afghanistan. Ich war noch ein Kind, aber wie ein Kind lebte ich nicht. Bildung und Arbeit waren für Frauen verboten, die Frauen durften nicht alleine rausgehen. Ich durfte nicht zur Schule gehen. Meine Brüder lernten in der Koranschule nur den Koran lesen.

Jeden Tag wurden Menschen von den Taliban ermordet. Jedes Mal, wenn jemand rausging, betete die ganze Familie, dass er lebend wiederkehrt. Die Taliban sind keine Menschen, sie haben keine Gefühle. Zerstören war ihr Hobby. Sie behandelten Frauen wie Tiere, schlugen und vergewaltigten sie und gaben den Frauen daran die Schuld, weil sie angeblich die Männer mit ihren hinterhältigen Blicken verführt hätten. Draußen und zu Hause - immer waren wir in Gefahr.

Ich dachte, mein Schicksal wäre es, in Afghanistan zu leben und zu sterben. Doch mein Vater wollte ein anderes Leben für uns. Er verkaufte alles, was wir hatten. Der Plan war, dass er nach Deutschland flüchtet und uns nachholt. Uns allen war nicht bewusst, wie gefährlich diese Reise ins Ungewisse für ihn war. Die Flucht aus Afghanistan nach Deutschland dauerte zwei Jahre. In Russland wurde mein Vater zweimal ausgeraubt. Ohne die Sprache zu sprechen versuchte er dort einen Job zu finden, um seine weitere Flucht nach Deutschland zu finanzieren.

Die zwei Jahre kamen mir vor wie 20 Jahre. Wäre mein Großvater nicht bei uns gewesen, hätten wir nicht überlebt. Meine Mutter, meine zwei jüngeren Brüder und ich wären gestorben. Denn ein Leben ohne einen Mann war in der Zeit in Afghanistan kaum möglich.

Als mein Vater schließlich in Deutschland gelandet war, brauchte er ein weiteres Jahr, bis er genügend Geld gespart hatte, um unsere Flucht zu bezahlen. Mittlerweile war ich neun Jahre alt und trug Verantwortung wie eine 15-Jährige in Deutschland.

Meine Mutter, meine Brüder und ich sind dann aus Afghanistan geflüchtet. Tag und Nacht waren wir unterwegs, über Berge, durch Wälder, mit leerem Magen. Wir hatten nur noch einander und die Kleidung, die wir an uns trugen. Mehr als sechs Monate waren wir unterwegs, ohne zu wissen, was am nächsten Tag mit uns passieren würde.

Am 9. September 2001 durfte ich dann nach fast vier Jahren meinen Vater wieder in die Arme schließen. Ich vergesse nie, wie glücklich ich war, ihn zu sehen, meine ganze Familie weinte. Wir waren alle sprachlos vor Glück, wir konnten es kaum glauben, dass wir in Deutschland angekommen waren und zusammen waren.

Mein Vater wollte, dass wir uns erst erholten, bevor wir zur Polizei gingen. Er brachte uns in die Wohnung eines Freundes. Doch dann kam das Unerwartete.

Am 11. September stand die Polizei vor der Tür, mein Vater war nicht daheim und wir sprachen kein Wort Deutsch. Meine Mutter wurde mitgenommen. Die Polizisten dachten, dass sie eine Terroristin sei, die an den Anschlägen vom 11. September 2001 in Amerika beteiligt war. Das Missverständnis konnte mein Vater zum Glück bald aufklären.

Danach lebten wir zunächst in einem Asylheim, bis wir eine Wohnung fanden. Ich fühlte mich unwohl im Asylheim, aber es war besser als in Afghanistan.

Ich habe in Deutschland die Möglichkeit bekommen, mich zu bilden, und genau das habe ich genutzt. Ich bin glücklich, dass ich in Deutschland nicht als Frau unterdrückt werde und ein Recht auf Meinungsfreiheit habe.

Mahsume Bayat, VSC 11

Gesamtschule Horn