Kreativität auf dem schmalen Grat zwischen Avantgarde und Kommerz. Die Kunsthalle zeigt Werke aus dem erweiterten Kreis der Pop-Art um Andy Warhol, Keith Haring, Jeff Koons und Takashi Murakami.

Ein namhaftes Trio zitiert die jüngere Kunstgeschichte als Gründungsväter der Moderne: Marcel Duchamp, Joseph Beuys und Andy Warhol. Jeder der drei hat mit seiner Kunst das Feld der Moderne erweitert. Warhol kommt dabei das Verdienst zu, die Grenze zwischen Kunst und Kommerz schwungvoll überschritten und gleichzeitig der Avantgarde ihren zweifelhaften Heiligenschein genommen zu haben.

Mit Andy Warhol Superstar beginnt die Geschichte des Künstlers als Agent des Kommerzes in eigener Sache.

Er opfert die heilige Kuh der Kunst, indem er sie mit dem vermeintlich Unreinen, dem Geld, der Vermarktung, dem Banalen und dem Populären ununterscheidbar vermengt. Was er aufgibt und zur Diskussion stellt, sind Vorstellungen von Authentizität und subjektiver Autorenschaft.

Jeff Koons, Richard Prince oder Damien Hirst gelten als (eigen-)willige Gefolgsleute im Fahrwasser der Mutter aller Pop-Art-Künstler. Auf ihren Altären verwandelt sich Nippes in Hochglanzkunst, wirbt die kindlich-verführerische Brooke Shields für ein "Spiritual America" oder präsentiert sich auf edelmetallenen Hufen das Goldene Kalb. Auch andere Künstler und Künstlerinnen, unter ihnen Elaine Sturtevant, Gavin Turk, die anonym agierende Gruppe Reena Spaulings oder Cosey Fanni Tutti, haben gelernt, den Kommerz sowie den bewussten Einsatz von Fälschung und Fake in ihre Dienste zu stellen.

Von diesen und weiteren Liaisons der Kunst mit Gesicht und Maske des Kommerzes, des Populären und Massenwirksamen handelt vom 12. Februar bis 9. Mai die Ausstellung "Pop Life. Warhol, Haring, Koons, Hirst ..." in der Hamburger Kunsthalle, einer Kooperation mit der Tate Modern in London. Über 300 Exponate, darunter Gemälde, Fotografien, Videos und Merchandisingobjekte zeugen von Rollen und Strategien im Leben des Künstlers im Zeichen von Pop und Kommerz.

Fast ein Viertel der gesamten Schau widmet sich der Pop-Ikone Warhol. Dessen späte Kunst der 1970er- und 1980er-Jahre errichtet das thematische Entree in die Welt seiner künstlerischen Gefolgschaft und Wahlverwandten. Warhol präsentiert sich hier als Vermarkter seiner selbst und seiner Kunst.

Statt neue Bilder zu entwerfen, nimmt der Künstler sein eigenes Frühwerk wieder auf, dreht dessen Farbwerte ins Negative und ernennt diese "Reversals", was so viel heißt wie Umkehrungen, zur Retrospektive. Seinen Bildern von Juwelen verpasst er einen Leuchtfarbenanstrich, der im Dunkeln, so auch in der Kunsthalle, magisch erstrahlt. Er bringt nicht nur sein eigenes Werk in Erinnerung, platziert es als populäre Ikone in die Welt der Massenmedien, sondern überhöht es darüber hinaus zum künstlerischen Kronjuwel.

Was Warhol mit der eigenen Kunst unternimmt, überträgt er gleichzeitig auf die eigene Person gemäß seinem Motto "Gute Geschäfte sind die beste Kunst". Warhol vermarktet sich als TV-Persönlichkeit in der populären Serie "Love Boat", als Model, als Paparazzo oder als Herausgeber der Zeitschrift "Interview". Dieser selbstbezogene Spätauftritt Warhols, untermalt durch die zahlreichen Selbstporträts aus der Sammlung der Kunsthalle, ist der Scheide- und Initialpunkt für die aktuelle Schau. Was Kritiker Warhol als Ausverkauf seiner Kunst vorwarfen, ist für die Kuratoren der Schau die Geburtsstunde einer neuen Künstlergeneration, unter ihnen auch die YBAs (Young British Artists), Andrea Fraser, Maurizio Cattelan oder Takashi Murakami.

Um ihrer selbst und ihrer Kunst willen nehmen sie in unterschiedlichen Rollen Wahrhols Steilvorlage auf. Zweifelsohne hat Jeff Koons beim Meister gelernt. Koons kommuniziert mit der Welt der großen und populären Medien, die seine camouflierte Pornografie mit der damaligen Ehefrau Ilona Staller bereitwillig aufnehmen. Weltweit kündet seine "Made in Heaven"-Serie von der gesteigerten und mit glanzvoller Unschuld umhüllten Reinheit des Banalen.

Koons erhebt den schlechten Geschmack in den Rang des Sublimen, befreit den Kitsch vom schlechten Gewissen und zeigt sich - ganz Unschuldsengel - dem irdisch-paradiesischen Liebesglück mit Gattin Cicciolina hingegeben. Dem Vorwurf der Pornografie kann er dabei durch die Ehe mit dem Pornostar geschickt ausweichen. Nicht aber dem Umstand, dass auch in Museen wie jetzt in der Kunsthalle einige seiner Werke für alle unter 18 unzugänglich bleiben. Nicht immer entzückt es, wenn die Kunst sich so offensiv und scheinbar unkritisch dem Kommerz verschreibt. 1991 warf die amerikanische Kritikerin Rosalind Krauss dem Kunst-Parvenü Jeff Koons mangelnde Distanz vor: "Er macht mit den Medien gemeinsame Sache. Er hat keine Botschaft. Das ist Eigenwerbung, und das finde ich abstoßend."

Dem setzt einer der Initiatoren von "Pop Life" notwendige Anpassung der Künstler an die Höhe ihrer Zeit entgegen: "Diese Ausstellung", so Jack Bankowsky vom US-Kunstmagazin "artforum", "behauptet, dass für viele Künstler die nach Warhol arbeiten, in diesem Überschreiten die Interaktion mit dem modernen Leben zu dessen aktuell geltenden Bedingungen überhaupt erst möglich wird." Sprich: Erst weil Künstler gemeinsame Sache mit dem Kommerz machen, vermögen sie ihre Geschäfte selbst in die Hand zu nehmen. Vorbei die Zeiten, in denen Galerien, Museen, Marketingfirmen oder Auktionen über Auf und Ab der Künstler entschieden. Nun avanciert der Künstler zum Makler seiner selbst. Zum Beispiel der durch seine grellen Manga-Pop-Bilder schillernde Japaner Takashi Murakami, dessen geschäftlicher Auftritt mittlerweile sowohl eine eigene Firma mit Namen Kaikai Kiki, die Zusammenarbeit mit Louis Vuitton und Levis, den Entwurf von Figuren japanischer Überraschungseier als auch die Organisation einer Kunstmesse umfasst.

Längst hat der Künstler populäre Märkte erobert und vermag dadurch seine eigenen Inhalte in sie einzuschleusen. Eine kritische Schwelle aber bleibt: Lässt das vorbehaltlose Eintauchen in den Markt ausreichend Raum für künstlerischen Mehrwert? Droht diesem nicht die Gefahr im Zuge des Erfolgs sein "Mehr" im Meer des Kommerzes zu verlieren? Dass eine derartige Differenz gesucht wird, zeigt erneut das Beispiel Warhols, der sich nicht zufällig häufig Tarnmuster bediente. Versuchte sich Warhol als V-Mann in eigener Sache in der Welt des Kommerzes?

Die Fragen, die "Pop Life" darüber hinaus aufwirft, betreffen die nach den unterschiedlichen Leben und Rollen ihrer Akteure. Welchen Grenzen steuern sie entgegen, welche versuchen sie zu überwinden? Wer ist Auktionator, wer ist Geschäftsmann, wer ist Galerist und wer Künstler im Kleide eines anderen in eigener Sache?

Martin Kippenberger etwa, dem die Kunsthalle eine kleine eigene Schau einrichtet, geht in der Frage der Selbstvermarktung und Selbsterhöhung auf ironischen Konfrontationskurs mit dem altbackenen Wertekanon des Kunstbetriebs. Seine Selbstzelebrierung - Kippenberger hatte 1990 bei Koons ein Poster Porträt mit dem Titel "Martin Kippenberger ist groß, toll, großartig, alles" in Auftrag gegeben - sollte provozieren. Das Porträt war Teil der Pariser Ausstellung "Candidature à une retrospective", die für die aktuelle Ausstellung teilweise nachgebaut wurde.

Ganz anders Andrea Fraser. Die Amerikanerin versuchte den Spieß der Abhängigkeit des Künstlers vom Sammler umzudrehen, indem sie die Abhängigkeit zur Bedingung ihrer Kunst erklärte und sie als solche verkaufte. Ihr Werben um bezahlten Sex mit einem Sammler, um daraus Kunst zu gestalten, war schließlich von Erfolg gekrönt. Die Frage, inwieweit der Künstler sich prostituieren darf, es notwendigerweise tut oder wie im Falle Frasers gezielt unternimmt, begleitet die Kunst seit ihren Anfängen. Mit Manets Olympia von 1863, der Prostituierten im Blick des Betrachters, setzt sie das 19. Jahrhundert blitzartig ins Rampenlicht.

Auch Manets "Nana", seit Langem im Besitz der Kunsthalle, kreist um die Prostitution. Nicht allein aufgrund der hier Dargestellten, sondern weil auch Manet das Bild einst in einem Schaufenster platzierte, um damit auf die Käuflichkeit von Künstler, Model und Kunst hinzuweisen. Pop Life wird die Nana nun für einen kurzen Moment wieder in diesen historisch kommerziellen Kontext zurückversetzen und sie damit als eine mögliche thematische Vorläuferin für die aktuellen Arbeiten präsentieren.

Wie Takashi Murakami mit seiner Kunst gilt auch Keith Haring mit seinem Strahlenkranz-Baby und anderen markanten Strichzeichnungen als Künstler, der gezielt Branding und Merchandising zwecks Marktkontrolle in die eigenen Hände nimmt. Was aber bei Murakami zur Perfektion gereift ist, war bei Haring in den frühen 80er-Jahren noch Wagnis. Erst nach eingehender Beratung mit Warhol entschloss er sich zur Eröffnung seines Pop Shops in New York, der seine Tore nun als originalgetreue Kopie mitten in "Pop Life" wiedereröffnet.

Auch auf eine Rekonstruktion des einst von Tracy Emin und Sarah Lucas betriebenen Shops in Bethal Green, London, trifft der Besucher in der Ausstellung. Unwidersprochen gelten die YBAs als der Vermarktung überaus aufgeschlossene Künstlergeneration. Vor allem Damien Hirst hat es auf diesem Feld mit seinen Bildern, Skulpturen und Aktionen, unter anderem als Auktionator seiner eigenen Kunst, weit gebracht. Wie Murakami gilt eines seiner Interessen der Marktkontrolle und eben darin der Erlangung von Unabhängigkeit vom Kreis der Kuratoren, Händler und Geschmackspäpste. "Most of the time", urteilte einst Hirst über die Kunsthändler, "they are all selling shit to fools, and it's getting worse". Vielleicht artikuliert sich das kreative Paradox von "Pop Life" gerade in diesem prekären Bündnis, dem Pakt zweier Ungleicher, zwischen Künstlern und Mainstream-Markt. Prostitution und Überleben im Haifischbecken des Kunstmarkts werden den Künstlern Mittel und Zweck, ihre eigene Kreativität neu zu erfinden. Die Ausstellung wird ermöglicht durch die Hubertus-Wald-Stiftung.

Pop Life. Warhol, Haring, Koons, Hirst 12.2. bis 9.5., Galerie der Gegenwart, Glockengießerwall, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr; www.hamburger-kunsthalle.de ; Speakers' Corner: Kunst kontrovers 27.2. u. 27.3., jew. 15 Uhr