In der Schau “I want to see how you see“ thematisieren Arbeiten von Bruce Naumann bis Pipilotti Rist den verunsicherten Menschen auf der Suche nach Halt und Identität.

Die Sängerin Björk gilt als Ausnahmeerscheinung in der Welt der Popmusik. Die komplexen Erzählungen und surrealen Bildwelten ihrer Musikvideos berühren häufig die Grenze zur bildenden Kunst. Als Beispiel für eine junge Künstlergeneration, die auf solche Grenzziehungen wenig Wert legt, hat sie nun ihren Auftritt in den Deichtorhallen.

In dem Video "Wanderlust" erschafft sie sich eine eigene Welt, besingt ihre Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, ringt mit ihrem "Schmerzkörper" und strudelt in die Hände eines Flussgottes. "Ich verlasse diesen Hafen, ich verabschiede mich von der Stadt", singt sie. Aber dann: "War es das, was ich mir wünschte?"

Björk beschwört die Hingabe an das Leben. Zugleich aber scheint sie an der von ihr selbst erschaffenen Welt zu zweifeln. Die Landschaft ist künstlich, der Flussgott ein recht albernes Geschöpf, das einem Computerspiel entsprungen sein könnte.

Ähnlich wie die isländische Sängerin thematisieren viele Künstler in der Ausstellung "I want to see like you see" ihre Unsicherheit in einer von Medien gelenkten Welt, stellen die Frage nach Identität, nach der Tragfähigkeit von Beziehungen. Die große Schau in den Deichtorhallen präsentiert 50 Arbeiten - Videos, Fotografien, Installationen und Skulpturen - von Gegenwartskünstlern. Darunter international bekannte wie Marina Abramovic, Chris Burdon, Bruce Naumann oder Pipilotti Rist, deren Arbeit der Ausstellung den Titel leiht. Die meisten Beiträge aber kommen von jungen, wenig bekannten Künstlerinnen und Künstlern.

"Die Ausstellung zeigt einen Schnitt durch die Gegenwart, spiegelt die Wünsche und Ängste junger Menschen", erklärt Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen. "Wir möchten damit etwas Essenzielles über heutige Daseinsformen und die Konstruktion von Wirklichkeit aussagen." Dass Luckow in seiner Antrittsausstellung den Schwerpunkt auf Video-Kunst legt, hat einen guten Grund. Alle Arbeiten stammen aus der Sammlung von Julia Stoschek, die den Werken in Düsseldorf ein eigenes Ausstellungshaus errichtet hat. "Es ergab sich die außerordentliche Gelegenheit, diese Werke auszuleihen, weil Frau Stoschek ihre Sammlung zugunsten einer Schau über 100 Jahre Performance derzeit eingelagert hat." Ein Glücksfall für Hamburg also, denn die Sammlung gilt mit ihrem Schwerpunkt auf Neue Medien und Video-Kunst in Deutschland als einzigartig und qualitativ wertvoll. Die 34-jährige Gesellschafterin eines großen Familienunternehmens kaufte ihr erstes Kunstwerk mit 27 Jahren. Heute besitzt sie mehr als 400 Arbeiten von zumeist jungen Künstlern, aber auch viele bedeutende Werke von Klassikern. "In meiner Sammlung versuche ich junge, aufstrebende mit bereits etablierten Künstlern in Zusammenhang zu bringen, da diese als wichtige Bezugsgrößen fungieren. Ich suche Schlüsselarbeiten bis hin zu ganzen Werkgruppen", beschreibt Julia Stoschek ihr Konzept.

Diese Herangehensweise spiegelt sich in der Hamburger Ausstellung. Dort sind unter anderem Marina Abramovics "Art must be beautiful, Artist must be beautiful" (1976) oder Chris Burdens "Shoot" (1971) zu sehen. Dem gegenüber stehen Werke der jungen Generation wie Heike Baranowskys "Mondfahrt" (2001) oder das Video "She Puppet" von Peggy Ahwesh aus dem gleichen Jahr.

Gerade jüngere Arbeiten richten sich unmittelbar an den Betrachter. So schuf die in Berlin lebende Künstlerin Natascha Sadr Haghighian mit der Videoinstallation "Empire of the Senseless" 2006 eine Arbeit, deren Sinn sich erst durch aktives Eingreifen der Besucher erschließt. Die Künstlerin entnahm dem gleichnamigen Roman von Kathy Acker einige Tausend Substantive, die Menschen beschreiben. Zwei Projektoren schreiben ein Wort auf eine blaue Fläche. Besucher können es erst entziffern, wenn sie sich vor einen der Projektoren stellen. Eines erscheint auf ihrer Silhouette an der Wand, das andere vielleicht auf ihrem Rücken.

Was verursachen Zuschreibungen? Wer bin ich? Wer bist du? Pipilotti Rist stellt mit ihrem Film "I want to see how you see" ähnliche Fragen und verfolgt die Protagonistin des Films bis in die privatesten Winkel. Die Frage nach dem Du hält Dirk Luckow bei vielen Arbeiten für wesentlich. Er sagt: "Die Haltung der jungen Künstler ist gänzlich antiheroisch. Der Prototyp des Künstlers interessiert gar nicht mehr. Vielmehr versucht diese Generation auf eine ebenso sensible wie kritische Weise möglichst nah an das eigene Leben zu kommen."

Zuletzt wurde Videokunst mit der Schau "Feuer, Erde, Wasser, Luft" 1993 gezeigt. Danach entfernte sich der Trend immer weiter von dem Medium. Julia Stoschek ist es mit ihrer Sammlung gelungen, dieser Kunstrichtung wieder einen kraftvollen Auftritt zu verschaffen. Einen, in dem die weibliche Sichtweise eine wesentliche Rolle spielt. "Als Harald Szeemann 1969 die große Übersichtsschau 'When Attitudes Become Form' präsentierte, waren gerade mal zwei Künstlerinnen darunter", sagt Dirk Luckow. "Die Julia Stoschek Collection hat das Potenzial, dieses Verhältnis umzukehren."

I want to see how you see 16.4. bis 25.7., Deichtorhallen, Deichtorstraße 1-2, Di-So 11-18 Uhr