Kurz einmal innehalten, sinnieren über das Gelesene - der Hamburger Verein “Andere Zeiten“ lädt jedes Jahr mit seinem Advents-Kalender dazu ein. Wir haben drei besonders schöne Texte und Motive daraus ausgesucht.

Heiliger König

Liebe S.,

es ist Abend, und die Luft riecht feucht und kühl und würzig. Vollkommen still ist es, nur das Schnauben der Kamele höre ich von Zeit zu Zeit. Du fragst dich, wo ich bin? Auf der unglaublichsten Reise, die ich je begonnen habe. Ich folge dem Stern. B. und M. an meiner Seite. Wir sind einfach aufgebrochen - wider alle Vernunft. Das muss verrückt klingen. Ich finde mich selbst verrückt. Wenn die Leute fragen, wohin wir wollen, dann sagen wir, dass wir den neuen König suchen. Wir sind auf einmal Utopisten, Visionäre, wir haben weder Beweise noch Garantien in der Hand. Wir werden angezogen von einem, dessen Namen wir nicht mal kennen. Es ist ein großes Abenteuer. Aus den alten Schriften habe ich mir eine Prophezeiung herausgeschrieben: "Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht", heißt es dort. Sag selbst: Klingt das nicht schön?

Ich habe beschlossen, das Ganze wie eine mathematische Frage zu behandeln. Probehalber gehe ich von der Annahme aus, es könnte wahr sein.

Du hörst von mir. Versprochen.

Dein C.

Türen der Erinnerung

Heute und morgen ziehe ich mit dem Fotoapparat los. Suche Häuser, die meinen Lieben vertraut sind. Ich fotografiere ihre Türen und lasse Abzüge entwickeln.

Wenn wir dann Weihnachten mit vollen Bäuchen und einem guten Glas Wein zusammensitzen, will ich sie überraschen.

"Kommt diese Tür hier irgendwem bekannt vor?" Die hölzerne Tür vom Reitstall für meine Freundin, das gusseiserne Kirchentor für meine Mutter. Unser Sohn wird den gläsernen Schwinger seines Kindergartens erkennen. Mein Mann die graue Wohnungstür mit Guckloch unserer Freunde. Und wir alle die Drehtür vor dem Freibad. Durch diese Türen sind wir in diesem Jahr gegangen.

Vielleicht reizen sie uns zum Erzählen: Sind wir fröhlich, aufgeregt hindurchgelaufen, was haben wir dahinter erlebt, was hat uns zum Lachen gebracht und was berührt? Ich möchte auch Türen von Menschen fotografieren, die in unserer Erinnerung leben. Die Haustür, hinter der meine Oma damals gewohnt hat. Die Schultür, durch die mein Vater täglich als Lehrer gegangen ist.

Iris Macke

Heute

Advent kommt - wieder mal - viel zu früh. Ich habe noch keinen Kopf dafür, geschweige denn Zeit.

Trotzdem: Ich möchte nicht, dass diese geheimnisvollen Wochen ohne mich beginnen. Heute Abend stelle ich mich dem Advent ...

Vorbereitet oder eingekauft habe ich natürlich nichts, aber in der Küche treibe ich noch vier Teelichter auf. Dazu eine Tonschale und einen Zweig aus dem Vorgarten. Wacholder zwar, aber Grün ist Grün.

Ein Licht mit Grün, mehr brauche ich nicht für eine Ahnung.

Einen Augenblick Ruhe, Erinnerungen, Sehnsucht.

Irgendwo summt eine Melodie: Macht hoch die Tür ...

Der Advent kann beginnen. Meinetwegen.

Christian Gerfrid