Hans Baldung Grien steht für einen Epochenwechsel - was die Ausstellung eindrucksvoll belegt.

Wahrscheinlich hat man diese fantastischen Glasbilder nie zuvor so leuchten sehen wie jetzt in Hamburg: Im oberen Oktogon des Bucerius Kunst Forums sind in der Ausstellung "Zwischen Himmel und Hölle" mit mittelalterlichen Werken aus dem Augustinermuseum Freiburg drei zweiteilige Glasfenster zu sehen, die Hans Baldung-Grien um 1517 für mehrere Kapellen des Freiburger Münsters entworfen hat. Sie waren an der Nordseite eingebaut und bekamen vermutlich schon durch die umstehenden Häuser kaum so viel Sonne, dass sie ihre farbige Bildkraft richtig entfalten konnten. Da es schon im späten 19. Jahrhundert erhebliche Beschädigungen gab, wurden die kostbaren Scheiben 1895 ausgebaut und durch Kopien ersetzt. Die Originale kamen in das Augustinermuseum, waren dort aber jahrzehntelang nicht zu sehen. Optimal beleuchtet bilden sie nun einen glanzvollen Höhepunkt in der Mittelalter-Ausstellung, zeigen aber zugleich den künstlerischen Beginn der frühen Neuzeit.

Und genau für diesen Übergang, den Wandel von der späten Gotik zur frühen Renaissance, steht der Künstler Hans Baldung gen. Grien, dem der obere Raum der Ausstellung gewidmet ist. In Baldungs Lebenszeit (1484/85-1545) vollzog sich ein Epochenwandel, dem er künstlerischen Ausdruck verlieh. Seine frühen Arbeiten entsprechen noch ganz der traditionellen gotischen Auffassung, so zeigt ein "Sündenfall"-Holzschnitt von 1514 die übliche Szene mit Adam, Eva und der Schlange. Fünf Jahre später präsentiert er dasselbe Thema völlig anders: ohne Schlange, dafür aber als deftige Darstellung sexuellen Begehrens.

Auch die Glasfenster unterscheiden sich fundamental von jenen mittelalterlichen Scheiben, die die gotischen Kathedralen schmückten. Während dort Bildszenen und Heiligenfiguren statuarisch aneinandergereiht waren, sehen Baldungs Freiburger Scheiben wie in Glas "übersetzte" Gemälde aus: So zeigt das Fenster der Heimhofkapelle im rechten Teil die Grablegung als menschlich anrührende Szene, während im linken Teil das Stifterpaar Heimhofer nicht kleiner als die Heiligenfiguren nebenan dargestellt sind, was als Ausdruck eines beträchtlichen bürgerlichen Selbstbewusstseins zu werten ist. Anders als bei mittelalterlichen Darstellungen, auf denen nur stilisierte Landschaften zu sehen sind, zeigt der Hintergrund bei Baldung den Schwarzwald und ein an die Alpen erinnerndes Hochgebirgsstück. Im bekrönenden Bogen finden sich jene kleinen Engelsputten wieder, die auch auf einem anderen Werk von Baldung erscheinen, dem Gemälde "Schmerzensmann, von Maria und Engeln beweint". Hier hat der Maler gleich mehrere mittelalterliche Motive in einer Szene vereint: Christus ist als Schmerzensmann dargestellt, links neben ihm die klagende Maria, wie sie sonst in einer Pietà zu sehen ist. Außerdem die Trinität, die durch Gottvater am rechten oberen Bildrand und die Taube des Heiligen Geistes vervollständigt wird, sowie zahlreiche kleine verheulte Engel, die auf Wolken fliegen und sich - eher wie Plagegeister - an Arme und Beine des aus Wunden blutenden, lebendigen, aber noch keineswegs triumphierenden Christus klammern. "Es ist eine merkwürdige und rätselhafte Darstellung. Vor allem die Engel verleihen dem Bild einen merkwürdigen Charakter, wobei wir ausschließen können, dass es Baldung hier um eine ironische Brechung gegangen ist", sagt Kurator Dr. Michael Philipp, der dann auf das späteste Bild der Ausstellung eingeht, das "Amor mit brennendem Pfeil" zeigt.

Es ist nur das Fragment eines größeren Gemäldes, genauer gesagt die linke obere Ecke, rechts unten ist noch angeschnitten der Kopf einer Frau zu sehen, die ohne Zweifel nackt war und daher der Schamhaftigkeit späterer Besitzer zum Opfer gefallen ist, die sie schnöde abschnitten und nur den kleinen Amor übrig ließen. Doch auch dieser hat es in sich. Er hält den feurigen Pfeil in der Hand und sein Blick hat mit kindlicher Unschuld nicht das Geringste zu tun. Drückt er Häme aus oder Verachtung oder ein Einverständnis mit einem Voyeur, der sich an der Nacktheit der Schönen ergötzt?

Mit diesem Bild hat sich Baldung Grien endgültig vom Mittelalter verabschiedet. Auch bei der Darstellung von Nacktheit und Sexualität verzichtet er nun auf eine biblische Rechtfertigung. "Wir zeigen den Reichtum der mittelalterlichen Bildwelten, wollen aber auch deutlich machen, wie die Entwicklung im 16. Jahrhundert weitergegangen ist", erklärt Dr. Philipp und fügt hinzu: "An der Kunst von Hans Baldung, der einen wichtigen Teil seines Werks in Freiburg schuf, lässt sich das wunderbar ablesen."

Zwischen Himmel und Hölle. Kunst des Mittelalters von der Gotik bis Baldung Grien bis 10.1.2010, Rathausmarkt 2, 11-19, Do bis 21 Uhr