Monumentale Skulpturen und Siebdrucke zwischen dunklen Bereichen des Unbewussten und schelmischer Heiterkeit - Die Deichtorhallen präsentieren Katharina Fritsch in einer umfassenden Einzelausstellung.

Eine Tischgesellschaft, ein Elefant, eine riesige Ratte auf dem Bett eines schlafenden Mannes - die Skulpturen von Katharina Fritsch zu benennen fällt nicht schwer. Viel schwerer aber fällt es zu beschreiben, was diese Skulpturen auslösen. Denn die in verführerischer Realitätsnähe gearbeiteten Menschen und Tiere umgibt eine Aura der Unwirklichkeit, ein Fluidum, das Sprache außer Kraft setzt und ferne Bilder im eigenen Inneren aufsteigen lässt. Und so gerät das scheinbare Abbild der Wirklichkeit zum Traumbild, zum Archetypus. In ihrer unausweichlichen Präsenz setzen sich diese Erscheinungen sekundenschnell in der Erinnerung fest und verlassen sie nicht mehr.

Katharina Fritsch gehört zu den wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart. Dennoch kann das Unterfangen, eine retrospektiv angelegte Werkschau von ihr zu zeigen, als außergewöhnlich bezeichnet werden. Mit der Schau "Katharina Fritsch" präsentieren die Deichtorhallen bis zum 7. Februar ihre erste große Einzelausstellung in Deutschland seit 2002. Konzipiert wurde sie in Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich.

Die Künstlerin selbst, bekannt für ihre äußerste Präzision, hat auch die Präsentation ganz genau festgelegt. In einer filmisch anmutenden Abfolge zeigt sie mit rund 100 Werken 13 groß dimensionierte Ensembles, die noch nie in Deutschland zu sehen waren. Neben Skulpturen aus Polyester, Gips oder Aluminium spielen in diesen Arbeiten monumentale Siebdrucke eine zentrale Rolle. Eingebettet in das jüngere Werk sind berühmte frühe Skulpturen, wie der grüne "Elefant" (1987), die "Tischgesellschaft" (1988) oder das "Warengestell mit Madonnen" (1989).

Katharina Fritsch wurde 1956 in Essen geboren. Von 1977 bis 1984 studierte sie an der Kunstakademie Düsseldorf bei Fritz Schwegler, der sie darin bestärkte, sich auf ihre eigenen Vorstellungen zu verlassen und auf Ironie und Gesellschaftskritik als damals sehr beliebte künstlerische Mittel zu verzichten. Der internationale Durchbruch gelang 1984 mit der großen Gruppenausstellung "Von hier aus" in Düsseldorf. Nachdem sie 1995 Deutschland bei der Biennale in Venedig vertreten hatte, wurden ihr bedeutende Auszeichnungen wie der Kunstpreis Aachen (1996) oder der Piepenbrock Preis für Skulptur (2008) zuerkannt. Seit 2001 lehrt sie als Professorin Bildhauerei an der Kunstakademie Münster.

"Seit dem ersten Erscheinen ihres Werks auf der Bühne der internationalen Kunstszene stellt Katharina Fritsch überaus präzise Fragen zu unserem Realitätsbegriff, zum Zusammenhang von Erinnerung, Wahrnehmung, Täuschung und bösem Traum, in gleichem Maße aber auch zur Skulptur im Zeitalter der industriellen und postindustriellen Produktion und der Warengesellschaft", erläutert Kurator Robert Fleck. "Dieses vielfältige Beziehungsgeflecht ist in jedem ihrer Werke gegenwärtig und beobachtbar. Es findet sich stets mehrsinning, vielfältig und in einer ansteigenden Komplexität ausgeführt, je länger man sich mit der Skulptur auseinandersetzt."

Die traditionellen Gesetze der Bildhauerei kommen im Werk von Katharina Fritsch genauso zum Tragen wie die formelle Klarheit der Minimal Art und die Erneuerung der Skulptur durch die Objektkunst in der Nachfolge der Pop-Art. Das Wichtigste aber scheint ihr Gespür für Verdichtung der Form, sodass subjektive Erinnerungen und Gefühle Allgemeingültigkeit erlangen.

Katharina Fritsch hat sich in ihrem Wunsch, "beispielhafte Form ohne ideologische Bedeutung" zu schaffen, nie verunsichern lassen. Auch nicht, als sich Mitte der 90er-Jahre eine auf Institutionskritik versessene Kunsttheorie von ihr abwandte. Der eindringlichen Wirkung ihres Werks hat das nicht geschadet. Sie möchte, dass "etwas nicht sprachlich ist, sondern Bild, und dass es dadurch nicht in einen sozialen oder anderen Kontext gesetzt werden kann, sondern als Phänomen an sich dasteht".

Solche Phänomene gibt es in dieser Ausstellung zahlreich. In einem Raum empfängt den Besucher ein hellgelber Koch in Lebensgröße, der einen hellgelben Teller mit hellgelbem Kotelett, Kartoffeln und Erbsen darbietet. Als Sinnbild unschuldiger Werbung erscheint er dem Betrachter sofort bekannt. Doch diesem Koch möchte man nicht eine Erbse vom Teller nehmen. Mit realistisch ausgearbeiteten Gesichtszügen verkörpert er eine grimmige Lebendigkeit. Die strahlend helle Figur steht vor dem großen Bild eines düster wirkenden Gasthofs, dem Schwarzwaldhaus. Anheimelndes wird unheimlich.

Das präzise Zusammenspiel von Skulptur und ätherisch wirkenden großformatigen Siebdrucken ist wesentlich für die neueren Arbeiten von Katharina Fritsch. Häufig benutzt sie Postkarten oder eigene Fotografien, die wandfüllend vergrößert und farblich verfremdet einen seltsam irrealen und wohlbekannten Hintergrund für die Figuren bilden.

So hat sie einen Gartenraum geschaffen, in dem eine große mattschwarze Madonna vor einem flirrend blauen Blättermeer aus Efeu steht. Und ein "Riese" mit müde-traurigem Gesichtsausdruck - auch er könnte einem gestern noch als normaler Mensch auf der Straße begegnet sein - stützt sich vor grünen Felsformationen auf seine Keule. Märchengestalten und Mythen durchziehen diese Arbeiten, die jedoch in die Gegenwart hineingreifen und das Interesse der Künstlerin für überindividuelle Prägungen offenbaren.

Ein anderer Mythos ist Paris, die Stadt der Liebe. Katharina Fritsch setzt seine Klischees in eine verspielte und vieldeutige Leichtigkeit um. Um die zentrale Figur "Frau mit Hund", die in wesentlich kleinerer Form als skurriles Muschelgebilde an Souvenirständen zu finden ist, gruppiert sie an den Wänden immateriell wirkende Bilder, etwa von Croissants, Rotweinflaschen oder Denkmälern. An der Decke schweben schwarze, grüne und violette Schirmskulpturen. "Eine Art Fluidum durchflutet den Raum wie eine Melodie. Es waltet die verwirrende Klarheit eines Spiegelkabinetts, wo der Bedeutungsstatus der Bilder heiter oszilliert und unfassbar bleibt", schreibt Bice Curiger, Kuratorin am Kunsthaus Zürich.

Befassen sich viele der früheren Arbeiten von Katharina Fritsch mit den dunkleren Bereichen eines kollektiven Bewusstseins, so tritt in neuen Werken eine fast schelmische Heiterkeit dazu. Das Bett, bestückt mit zwei Herzen als Augen und einem aus Kreisbögen konstruierten, allerliebsten Mund wartet anscheinend auf ein Liebespaar. Seine unschuldige Miene aber könnte auch Täuschung sein. Wer der Herren an den Wänden ringsum - männliche Pin-ups von Postkarten aus Ibiza - wird wohl sein erstes Opfer?

Bice Curiger schreibt dazu: "Schamlos ist in diesem Raum vor allem die Wertfreiheit, das ästhetische Neben- und Ineinander, die abgeklärte Glückseligkeit, in welcher Vitalität alles Vulgäre abgestreift zu haben scheint."

Katharina Fritsch bis 7.2.2010, Deichtorhallen Hamburg, Deichtorstraße 1-2, Di-So 10-18 Uhr