Die Hamburger Kunsthalle zeigt die bisher umfassendste Retrospektive des Portugiesen Pedro Cabrita Reis. Zu sehen sind raumgreifende Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien und Objekte.

Kabel schlängeln sich auf dem Boden. Neonlichter klettern in rechtem Winkel die Wände hoch. Andernorts fällt ein mehrgeschossiges Hausskelett ohne Zugang auf. Hinter diesen, auf den ersten Blick nüchtern-rohen, auf den zweiten Blick aber bewusst gesetzten Zeichen gegenwärtiger Kunstpoesie steht der Name Pedro Cabrita Reis.

Der Portugiese gilt als einer der ganz Großen seines Landes, dessen Wirken seit 20 Jahren auch internationale Anerkennung findet. Auf der documenta 1992, auf der Biennale in Venedig 2003 sowie auf zahlreichen anderen Kunst-Großveranstaltungen traf und trifft man unweigerlich auf seinen Namen. Die Hamburger Kunsthalle richtet Reis' bislang größte Retrospektive aus. Im Sockelgeschoss zeigt sie rund 60, teilweise raumgreifende, Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen und Fotografien aus den Jahren 1985 bis 2009.

Reis' Karriere beginnt als Maler und Bildhauer, der die figürliche Sprache, wenn auch nur marginal, in sein anfängliches Repertoire mit aufnimmt. Aber schon in den frühen Jahren zeigt sich seine Hinwendung zum geometrisch Reduzierten, zum gebauten Bild und Objekt aus Linie, Fläche und Raum. Manchen dieser Objekte wohnt ein unmittelbarer Bühnencharakter inne - wenn etwa ein Stuhl einsam in der Ecke zweier hochragender Wände kauert. Andere, vor allem seine frühen Gemälde, nehmen in der Kombination aus gemalten Flächen und dreidimensionaler Fassung Reis' spätere Entwicklung zu raumgreifenden Installationen vorweg.

Seine Kunst ist getragen vom Wechselspiel aus einem formalen und einem inhaltlichen Aspekt. Wenn Reis sich verstärkt in den 90er-Jahren vom Zweidimensionalen entfernt, bleibt er dennoch den kunsthistorischen Gattungen Zeichnung und Malerei treu. Nur erweitert er die klassische Flachware um eine reale Tiefendimension. Seine Arbeit "Desenho" (Zeichnung) ist ein Musterbeispiel für dieses Vorgehen. Aus Aluminium, Eisen, Holz und Neonlicht entwirft er einen dreidimensionalen Körper, der aber aufgrund seiner Konstruktion aus Linien seinen Zeichencharakter beibehält. Ähnlich verfährt seine Malerei. Monochrome Farbflächen organisieren Wände, an denen Türzargen und Glasplatten lehnen.

Mehr noch als den 2-D-Gattungen der bildenden Kunst ihre dritte Dimension zuzuweisen, fällt Reis' Interesse an allem Baulichen auf. Dafür sprechen nicht nur die zum Teil gefundenen Materialien wie Glas, Ziegelstein, Türen, Fenster, Baubretter oder Stahlträger, sondern auch die an einfachste Behausungen erinnernden Werke aus der Serie der "Blind Cities" (Blinde Städte), deren grobe Formen er gezielt in die weißen Museumsräume trägt oder Favelas gleichende Strukturen in einem barocken Prunksaal platziert. Sabrina van der Ley, Leiterin der Galerie der Gegenwart, Kuratorin der Ausstellung und mehrfach erfahren in der Kooperation mit dem Künstler, schätzt Reis' Vermögen, "unerschrocken mit dominanter Architektur und großen Räumen umzugehen". Auf evidente Weise suggeriert Reis' skulpturales Werk eine Landschaft ruinöser, roher, im Bau befindlicher Räume oder hermetisch abgeschlossener Zellen. Fenster sind blind, Türen führen nicht weiter, Mauern versperren. Ein Teil dieser Skulpturen verdient seine Herkunft auch real existierenden Orten.

Doch bei allen baulichen und sozial-relevanten Assoziationen, die seine Arbeiten wecken, meidet Reis jegliche Anspielung auf Architektur. "Ich glaube", gibt er zu bedenken, "dass sich in meinem Werk die Substanz schaffende Geste vielmehr auf die ursprüngliche Handlung des Bauens bezieht - im Gegensatz zu der endgültigen und politischen Tätigkeit, den kollektiven Raum zu organisieren, was ja die Utopie der Architektur zu sein scheint." Vielleicht ist Reis' Fokus auf diese "ursprüngliche Handlung" - neue Selbstporträts des Künstlers zeigen allein seine Hand in Verbindung mit Baustoffen-, die den Kreis zwischen der unwirtlichen Moderne und einer Landschaft schließt, die für den Künstler noch immer eine Herausforderung an alle Sinne darstellt.

Eine Serie der letzten Jahre, "True Gardens" (Wahre Gärten), die mit Aquädukten, Flussläufen in Form von Kabeln oder Neonröhren das Lebenselixier Wasser thematisieren, sind geprägt von einer zutiefst belebten Umwelt. "Alles um mich herum sehend, hörend, fühlend, schmeckend" geht Reis seinen Weg durch die Welt, "auch wenn am Ende des Tages das Ergebnis ein scheinbar simples monochromes Bild, ein Kasten mit einer Leuchte oder einer Ziegelmauer ist". Die Asstellung wird ermöglicht durch die Freunde der Kunsthalle.

Pedro Cabrita Reis: One after another, a few silent steps bis 28.2.2010, Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr, Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall