Mit dem Wachstum der Städte kam die Kriminalität nach Stormarn. Der Fall Isolde F. - nur einer von vielen Morden.

Vor der Haustür steht ein Streifenwagen. Es ist also die richtige Adresse. Syltring in Ahrensburg an einem frühen Januar-Morgen. Es nieselt. Mich fröstelt, ich schlage den Mantelkragen hoch. Dann betrachte ich das Klingelbord, blicke an der Rotklinkerfassade hoch. Beginne, Balkone abzuzählen.

Spät am Abend zuvor hat der stellvertretende Redaktionsleiter auf meinen Anrufbeantworter gesprochen: "Im Gartenholz ist eine Lehrerin ermordet worden. Du musst da leider hin. Tut mir leid. Viel Glück. Das Leben ist nicht immer schön." Wie wahr. Und wer als Polizeireporter raus muss, sieht die weniger schönen Seiten besonders oft.

Der 18. Januar 2005 ist so ein Tag. Ich drücke alle Klingelknöpfe, bis mich irgendjemand ins Haus lässt. Dann stehe ich vor der Wohnungstür. Schüler sind schon vor mir dort gewesen. Haben Blumen niedergelegt, ein Gedicht geschrieben. Ich bin insgeheim froh, dass ich an diesem Morgen, anders als nach schweren Unfällen auf der Autobahn, nicht Gefahr laufe, eine Leiche zu sehen.

Ich klopfe an den anderen Wohnungstüren. Wohl wissend, dass mich die Menschen dahinter für taktlos halten werden, für sensationslustig, für einen Voyeur. Aber ich brauche Informationen. Und ich tröste mich damit, dass ich nur zusammentrage und aufschreibe, was auch sie alle erfahren wollen. Am nächsten Tag aus der Zeitung.

Der Fall Isolde F. hat es zu bundesweiter Bedeutung gebracht, weil ein Schüler ihr Mörder gewesen ist. Im Grunde genommen unterscheidet er sich nicht von all den anderen.

Von dem mit der ein Jahr später in einer Zahnarztpraxis getöteten Putzfrau, die nur einen Katzensprung entfernt zu Hause gewesen war. Von dem des Landwirtes, der im Januar 2001 in Eichede seine Frau und sich selbst erschossen hat. Von dem des Familienvaters, der im Januar 1996 in Jersbek seinen zwei Jahre alten Sohn getötet hat. Von dem der Geschäftsfrau, die im Juli 1993 tot im Kleiderschrank in ihrem Ahrensburger Haus gefunden worden ist.

Hinter jedem Fall stecken Schicksale, Opfer. Und es werden immer mehr Opfer. Vor 20 Jahren hat sich der Ahrensburger Polizist Udo Saalbrecht in der Ahrensburger Zeitung an 1949 erinnert: "Kriminalität bestand überwiegend aus Viehdiebstählen." Spektakulärster Coup jener Zeit: Von September 1952 bis März 1953 stiegen Einbrecher dreimal ins BAT-Werk ein, stahlen rund 350 000 Zigaretten. Beim vierten Versuch wurden sie geschnappt.

1972 registrierte die Polizei schon 740 Straftaten in der Schlossstadt, aktuell sind es regelmäßig rund 2500 im Jahr. Und viele sind ein Spiegel ihre Zeit: Etwa, dass ein Arzt, wie von 1996 bis 1998, im Internet Kinderpornos tauscht.

Oft bekommen wir Reporter auch die Täter zu sehen. Später, viel später, vor Gericht. So wird es auch im Fall Isolde F. sein. Aber das weiß ich am 18. Januar 2005 noch nicht. Ich verlasse das Haus am Syltring, den Block voll bruchstückhafter Informationen. Nach einigen Duzend Telefonaten werde ich am Abend alle Details zusammenfügen können. Zu einem Text, auf den ich nicht stolz sein werde.