Das Vikariat bereitet auf die Arbeit als Seelsorger vor. Doch nur jeder zweite Bewerber bekommt einen Platz.

Dass er zu einem ungewöhnlichen Berufsstand gehört, das wird Martin Zerrath spätestens in Partygesprächen klar. Seine Antwort auf die Frage "Und was machst du?" bewirkt bei den Gesprächsteilnehmern nicht selten eine kritische, wenn auch neugierige Distanz. Martin ist Vikar.

"Die Fremdwahrnehmung von außen ist eine ganz andere als meine eigene", sagt der 34-Jährige. Doch auch sein Blick auf den eigenen Berufsstand hat sich im Laufe der Zeit gewandelt: "Früher habe ich es für eine Aufgabe des Pastors gehalten, zu vertrösten und zu lügen. Heute ist es mein Ziel, mit Wahrheiten gehaltvoll umzugehen und Ambivalenzen auszuhalten."

Was er mit dem Studium einmal anfangen wollte, war für den evangelischen Theologen zunächst zweitrangig: "Mich hat der wissenschaftliche Zugang beflügelt", sagt Martin. In den Anfangssemestern dominierten Hebräisch, Griechisch und Latein. "Da muss man durch, um die Bibel auch in der Ursprache lesen zu können." Dann rückten Bibelkunde und schließlich im Hauptstudium die systematische Theologie in den Vordergrund: "Was ist Religion, was bedeutet es, wenn man 'Gott' sagt, der letzte Sinn vom Ganzen - ich habe mich mit Fragestellungen befasst, die sonst nirgendwo beantwortet werden", schwärmt Martin, der in Hamburg und Leipzig über den Philosophen Hans Blumenberg promovierte. Erst nach der Doktorarbeit fühlte er sich reif für das Vikariat, den zweiten Teil der Ausbildung, der die Theologen in die Gemeindearbeit einführt: "Ich wollte nicht mehr nur mit Texten arbeiten, sondern den Austausch mit den Menschen."

Pastor ist ein sehr vielfältiger Beruf, betont auch Kollege Thomas Kärst. "Man hat mit sehr unterschiedlichen Menschen aller Altersstufen zu tun und sucht gemeinsam nach dem Sinn des Lebens." Kärst hat neben dem Vikariat an der Landeskirche Hannover noch ein Volontariat absolviert und lange als Journalist gearbeitet. Inzwischen ist er stellvertretender Pressesprecher der Nordelbischen Kirche: "Wie ein geisteswissenschaftliches Studium bietet das Theologiestudium breite Beschäftigungsmöglichkeiten. "Meine Kommilitonen sind auch in der Werbung oder in der Schule untergekommen."

Wer aber in die Kirche wolle, solle möglichst früh den Kontakt zu ihr suchen. Das geht etwa durch ein Praktikum. Schließlich schafft es nicht jeder Bewerber ins Vikariat: "Neben den Noten sind Kommunikationsstärke und Auftritt entscheidend." 16 Vikariatsstellen hält die Nordelbische Kirche pro Jahr bereit. Doppelt so hoch ist die Zahl der Bewerber und Bewerberinnen.

"Der Frauenanteil in dem Beruf nimmt stark zu", sagt Thomas Kärst. Von den 120 Studenten der Theologie, die aktuell auf der Landesliste Nordelbiens stehen, sind über die Hälfte Frauen. Allerdings studieren insgesamt immer weniger Schulabgänger dieses Fach. Vor zehn Jahren waren es noch 250 Studenten, vor 20 Jahren sogar über 800: "Der Beruf war einmal sehr beliebt, das hing auch mit einer neuen Sinnsuche und der Umweltbewegung zusammen." Heute allerdings sind die Aussichten nicht gerade rosig: "Nordelbien wird bis zum Jahr 2018 von 1200 Pfarrstellen 200 abbauen", weiß der Pressesprecher.

Martin Zerrath braucht sich dennoch keine Zukunftssorgen zu machen. Nach dem Vikariat von 29 Monaten, das er gerade in der Gemeinde Altona-Ost absolviert, erhält er eine Pfarrstelle und das volle Pastorengehalt von rund 3400 Euro brutto zuzüglich Sonderzulagen. Nach drei weiteren Probejahren ist ihm eine Festanstellung auf Lebenszeit sicher, ähnlich den Beamten im Staatsdienst. "Das ist ein toller Beruf", sagt er, "Religion ist für die Zweifler."