Das Internationale Maritime Museum Hamburg zeigt Claudius Diemers faszinierende Satellitenbilder von Inseln und Küsten.

Distanz schafft Überblick, und wenn der Abstand groß genug ist, ermöglicht er ungeahnte Einblicke. Der Blick von oben hat die Menschen schon immer fasziniert. Als sich der uralte Menschheitstraum vom Fliegen endlich erfüllte und die ersten Ballonfahrer im 18. Jahrhundert staunend die Welt aus der Vogelperspektive betrachteten, erweiterte sich ihr Horizont im wörtlichen Sinn: Erstmals gewannen sie einen Eindruck von den topografischen und geografischen Zusammenhängen ihrer Umwelt.

Schon bald nach Erfindung der Fotografie in der Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen waghalsige Ballonfahrer und Flugpioniere Kameras mit an Bord, um die Welt von oben abbilden zu können. Hatten sich Kartografen und Geografen wie Georg Braun und Franz Hogenberg, die im Jahr 1589 ihren berühmten Städteatlas "Civitatus orbis terrarum" publizierten, noch auf Ausblicke von Kirchtürmen und die eigene Vorstellungskraft beschränken müssen, so konnten bereits die frühen Luftbildfotografen - trotz aller technischer Unzulänglichkeiten - die reale Vogelperspektive bildlich wiedergeben.

Mit dem Beginn der Weltraumfahrt eröffnete sich Ende der 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts noch einmal eine völlig neue Perspektive, die es erstmals möglich machte, die Erde aus dem Weltraum zu betrachten und zu fotografieren. Viele Berichte belegen übereinstimmend, dass der Blick auf die Welt keinen der Kosmonauten und Astronauten, die ihn persönlich erleben durften, unberührt ließ: Aus der Distanz des Weltraums relativierten sich alle Konflikte und Meinungsverschiedenheiten. Fast alle Betrachter berichten darüber, dass sie die Erde als ungemein schön empfanden. Viele begriffen nun erstmals auf sinnliche Weise, was sie zwar wussten, sich aber nie zuvor wirklich hatten vorstellen können, nämlich dass die Erde ein Wasserplanet ist. Den größten Teil der Erdoberfläche nehmen die Ozeane ein und der Übergang vom Land zum Meer bildet an den Küstenlinien mannigfaltige Formen.

Im Internationalen Maritimen Museum Hamburg sind jetzt erstmals großformatige Satellitenbilder zu sehen, die diese Zusammenhänge auf faszinierende Weise sichtbar machen. "Das Gesicht der Meere - Inseln und Küsten aus der Weltraumperspektive" heißt die Schau mit großformatigen Fotografien des Fotoingenieurs und Geografen Claudius Diemer.

Wer sie betrachtet, dem verschlägt es angesichts so viel Schönheit den Atem: Die Insel Rügen lässt sich dank ihrer markanten Form sofort erkennen, erscheint hier aber nicht als Landkarte, sondern als kunstvolle, aus grünen und roten Farbflächen bestehende Applikation auf der blauen Fläche der Ostsee. Wie ein Vogelfuß mutet das Delta des Mississippis an, der sich mit seinen zahlreichen kapillarartigen Verästelungen in den Golf von Mexiko ergießt - eine abstrakte Komposition von beträchtlicher ästhetischer Qualität.

Aber sieht die Erde tatsächlich so aus? Würden die Astronauten der Raumstation ISS beim Blick aus dem Fenster unseren Planeten genau so wahrnehmen? "Nein, das würden sie nicht", erklärt Claudius Diemer, "denn zwischen den Astronauten und der Erde liegt die Atmosphäre, die zu einer Trübung führt, die wir als Blaustich wahrnehmen. Außerdem vermindert die Atmosphäre den Kontrast. Für meine Bilder kompensiere ich die Atmosphäre und erlaube mir außerdem, die Kontraste anzuheben. Damit mache ich eigentlich nichts anderes als ein Fotograf, der im Labor versucht, den maximalen Kontrastumfang des Papiers auszunutzen. Der dritte und wichtigstes Aspekt ist, dass ich Informationen aus dem Infrarotbereich nutze, um die Vegetation differenzierter darstellen zu können."

Aber ausgerechnet das Wasser macht bei der fotografischen Darstellung Probleme, denn es reflektiert das Sonnenlicht auf ganz vielfältige Weise. "Aus ästhetischer Sicht sind die Reflexionsmuster von Wasserflächen faszinierend, aber durch ihre hohe Variabilität werden sie zur technischen Herausforderung bei der Bildbearbeitung, sobald mehrere Aufnahmen unterschiedlichen Datums kombiniert werden müssen", sagt Claudius Diemer, der zugleich mit einem weit verbreiteten Irrtum aufräumt: Satellitenaufnahmen sind keine Fotografien im herkömmlichen Sinn, denn sie werden am Rechner aus vielen verschiedenen Datenkanälen zusammengesetzt. So ist es möglich, den Kontrast und die Helligkeit des schwierig darstellbaren Wassers separat zu bearbeiten. Das Datenmaterial bezieht Claudius Diemer von der NASA, die viele Rohdaten kostenlos zur Verfügung stellt.

Diemer hat Geografie studiert und jahrelang Satellitenbilder ausgewertet, sich aber auch intensiv mit Fotografie auseinandergesetzt. Bei seinen Bildern von Inseln und Küsten, die er jetzt im Maritimen Museum zeigt, ging es ihm nicht mehr um Wissenschaft, sondern um Schönheit. Auf die Frage, was ihn persönlich an diesen Motiven reizt, antwortet Diemer: "Ich bin ein absoluter Landschaftsnarr. Satelliten geben mir einfach die Möglichkeit, Landschaften als Ganzes zu erfassen. Ich habe einfach Freude an dieser Schönheit, und das möchte ich auch anderen zeigen."

Claudius Diemer: "Das Gesicht der Meere" 19.5. bis 28.6., Internationales Maritimes Museum Hamburg (Foyer), Koreastraße 1, Di/Mi, Fr-So 10-18, Do bis 20 Uhr, das Buch ist bei Mare erschienen (144 Seiten, 58 Euro).