Eine Schau stellt den Jahrhunderttänzer Vaslaw Nijinsky als Zeichner vor. Neben geometrischen Arbeiten stellte er Visionen eines durch Tanz, Musik und Farbe beseelten Kosmos in den Kontext abstrakter Malerei.

Er war der "Gott des Tanzes", der Jahrhunderttänzer und Star der "Ballets Russes": Vaslaw Nijinsky (1889-1950). Die vom russischen Impresario Sergej Diaghilew gegründete Truppe hatte der alten Ballettschule den Rücken gekehrt und ein modernes, weniger auf Handlung als auf direktem Ausdruck und exotisch berauschenden Bühnenbildern basierendes Ballett ins Leben gerufen. Nijinsky beeindruckte durch seine nahezu schwerelosen Sprungkünste und Skandal schürenden erotischen Auftritte. Die Gründung der Ballets Russes jährt sich in diesem Jahr zum 100. Mal, Anlass für zahlreiche Museen an Diaghilews Kompagnie und seine Kooperation mit bekannten Musikern und bildenden Künstlern zu erinnern.

Die Kunsthalle schlägt hier einen Sonderweg ein. Im Zentrum ihrer Schau steht Vaslaw Nijinsky weniger in seiner Eigenschaft als Tänzer, sondern als Zeichner abstrakt geometrisch anmutender Blätter. Eingebettet werden sie in den künstlerischen Kontext seiner Zeit mit Arbeiten von fünf wie Nijinsky aus Osteuropa stammenden Künstlern, deren künstlerische Heimat zeitweilig Paris war. Zwischen 1917 und 1919 zeichnete Vaslaw Nijinsky weit über einhundert Gouachen und Farbstiftzeichnungen, deren voller Umfang erst posthum bekannt wurden. Einen Großteil konnte die Stiftung John Neumeier in ihren Besitz überführen. Zusammen mit Leihgaben aus dem Besitz der Bibliothèque nationale in Paris stehen sie nun im Mittelpunkt der Schau.

Sie zeigen Nijinsky, wie er sicher mit freier Hand geometrische, stets aus Kurvensegmenten, Kreislinien und Ringen bestehende Zeichnungen aufs Papier setzt. Frühe Blätter machen ihre Herkunft aus der menschlichen Figur ersichtlich, andere erinnern an Babuschkas. Der überwiegende Teil betont die geometrische Abstraktion. Kreise überschneiden sich, erzeugen Tiefe, formen Augen, Ornamente, Arabesken und evozieren permanente, aber geordnete Bewegung und Rotation.

Auf den ersten Blick basieren viele dieser Blätter auf symmetrischer Ausrichtung. Genaues Hinsehen verrät, dass kleine Verrückungen im Bild mögliche Spiegelungs-Achsen an den Rand verschieben. Die Zeichnungen lassen sich als reine Diagramme von Choreografien werten. Möglich ist aber auch, sie in den Kontext der aufstrebenden abstrakten Malerei einzubinden mit ihren Visionen eines durch Tanz, Musik und Farbe beseelten Kosmos.

In diesen Zusammenhang lassen sich die rund 100 Bilder von Vladimir Baranov-Rossiné, Sonia Delaunay-Terk, Alexandra Exter, Léopold Survage und Frantisek Kupka, einer der Mitbegründer der abstrakten Kunst, einordnen. Alle Künstler bevorzugen eine größtmögliche Abstrahierung aus bogen- sowie kreisförmigen und farblich akzentuierten Elementen, deren Komposition sich durch frei tanzende Bewegungen auszeichnet. Bekannt ist im Werk von Sonia Delaunay-Terk die Verschränkung von Farbe und Musik, ebenso bei Kupka, der sich vom Orphismus von Sonia und Robert Delaunay zeitweilig inspiriert zeigt. Aber auch im Werk Baranov-Rossinés, des Erfinders des piano optophonique, das farbiges Licht mit Musik synchronisierte, zeigt sich geistige Nähe.

Die Tatsache, dass die künstlerischen Kreise im Paris Anfang des 20. Jahrhunderts eng vernetzt waren, legt eine Kenntnis Nijinskys dieser Künstler nahe. Mehr über Nijinsky als Tänzer zeigt ein Sonderteil der Ausstellung, die sich ihm als historische Figur mit Fotografien, Plakaten, Gemälden und Skulpturen berühmter zeitgenössischer Künstler nähert.

Tanz der Farben. Nijinskys Auge und die Abstraktion 20.5. bis 16.8., Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, Di-So 10-18, Do bis 21 Uhr.