Lebensgroß und zum Anfassen plastisch: Mit der überdimensionalen Analog-Kamera Imago 1:1 entstehen zeitlose Fotos von besonderer Magie.

Lasziv und doch scheu blickt das Model in die Kamera. Vor tiefschwarzem Hintergrund schält sich lebensgroß die helle Haut eines knabenhaften Körpers heraus. Scharfe Konturen und funkelnde Ketten kontrastieren mit Unschärfen, Kleidung verschwimmt im Dunkel. Das Gesicht wirkt wie aus der Zeit gefallen. Bilder aus den 20ern? Weit gefehlt. Die Aufnahmen entstanden 2006.

Ihre besondere Ästhetik verdanken sie einer speziellen Kamera: der "Imago 1:1". Sie fertigt spektakuläre Unikate in Lebensgröße. Die Originalaufnahmen sind jetzt zum ersten Mal in Hamburg im Altonaer Museum zu sehen. Die Imago: Vermutlich handelt es sich um den größten Fotoapparat der Welt, sieben Meter lang ist er, drei Meter breit und vier Meter hoch.

Erfunden haben ihn Anfang der 70er-Jahre der Physiker Werner Kraus und der Goldschmied Erhard Hößle. Ihnen schwebte eine Kamera mit besonderen Eigenschaften vor: Sie sollte funktionieren wie eine überdimensionierte Sofortbildkamera, die vom Benutzer betreten und per Selbstauslöser in Gang gesetzt wird. Der Porträtierte würde sich in der Kamera mittels eines Spiegels in Lebensgröße sehen - und zwar seitenrichtig, nicht wie sonst üblich seitenverkehrt. Für die 1:1-Abbildung war eine spezielle Optik vonnöten, an deren Gelingen Werner Kraus lange tüftelte. Außerdem funktionierte die Imago ohne Negative, also brauchte man wie bei einer Polaroid ein sich selbst entwickelndes Positivpapier, das in den 70er-Jahren von großen Firmen produziert wurde.

1972 hatten es Kraus und Hößle geschafft: Das wunderbare Ungetüm war einsatzbereit. Unterschiedlichste Arbeiten entstanden. So produzierte, von den Möglichkeiten dieser Kamera sofort begeistert, die Modefotografin Karin Kraus, Ehefrau von Werner Kraus, mehrere Modestrecken in dieser Kamera, u. a. eine Serie mit Daniel-Hechter-Blusen oder Laura-Ashley-Kleidern.

Die Imago verlangte Teamwork: Die komplizierte Belichtung und die Einfallswinkel arrangierten Fotografin und technischer Assistent; und der Porträtierte bestimmte den Moment, in dem er auf den Selbstauslöser drückte. Prominente wie die Schauspielerin Iris Berben, der Wiener Künstler Ernst Fuchs sowie viele Privatpersonen setzten sich in den 70ern in dieser Kamera der Suche nach dem eigenen Abbild aus. Die Fotos aus der Imago wurden in der "Neuen Sammlung" in München gezeigt. Besucher bestaunten die besondere Magie der Motive: Die Abgebildeten schienen zum Greifen nah. Wie lebendig brannten sie sich in das Auge ihrer Betrachter.

Die Kamera entstand zum rechten Moment. Es war die Epoche der Konzeptkunst ohne Objekt, die Zeit der Performances. Die Imago erlaubte nun die Umdeutung des Mediums Fotografie, die bislang eher als Gebrauchsgrafik betrachtet worden war. Jetzt war es zu einem Medium der Gestaltung aufgestiegen - und der Selbsterfahrung. Die renommierte Fachmesse Photokina verhalf der Imago zu beträchtlicher Bekanntheit.

In den 90er-Jahren verstaubte das Gerät in einer Asservatenkammer. Es gab keinen Hersteller mehr für das Spezialpapier, das Interesse hatte sich auf die digitale Technik verlagert.

Doch Tochter Susanna Kraus, Schauspielerin und Künstlerin, mit Ausbildung zur Fotoassistentin im mütterlichen Betrieb, ließ die Angelegenheit keine Ruhe. Sie beschloss, die Imago wieder zum Leben zu erwecken. Und so kam 2006 im Museumsquartier Wien die Kamera mit der Serie "Wiens Analytiker in der Black Box" zu erneuten Ehren: Aus Anlass des 150. Geburtstags von Sigmund Freud wurden Psychoanalytiker fotografiert - mit einem Verfahren, das ihre Selbstwahrnehmung veränderte! Die Magie der Imago ist eben zeitlos.

Ich 1:1. Selbstportraits aus der größten Kamera der Welt 10.6. bis 27.9., Altonaer Museum, Museumstr. 23, Di-So 10-17 Uhr.