Mit gleich zwei Konzerten gibt Jörg Achim Keller im Winter seinen Einstand als Chefdirigent der NDR Bigband.

Wenn ihm der Jazz schon nicht in die Wiege gelegt worden sein mag, so wuchs er doch mit ihm auf. Wo seine Altersgenossen sich Pop und Rock "reinzogen", oder sich anhören mussten, was die Eltern für gut hielten, stand ihm der Plattenschrank seines Vaters jederzeit offen. Jörg Achim Keller konnte sich von klein auf im Elternhaus in Münster mit ständig wachsender Begeisterung die Platten von Ellington und Basie, Woody Herman und Benny Goodman, Lionel Hampton und Stan Kenton auflegen, ohne dass einer rief: "Stell diese Musik ab!".

So blieb es nicht aus, dass er zur Schulzeit lieber für das Leben lernte, Schlagzeug spielte und sich am Klavier das Arrangieren im Selbststudium beibrachte. Als er dann im holländischen Hilversum und später auch in Hamburg Musik studierte, diente dies eher dem letzten Schliff. "Schick doch mal was dem Peter Herbolzheimer", hatte etwa Herb Geller dem jungen Talent geraten. Es war der Beginn einer intensiven Zusammenarbeit, in der Jörg Achim Keller den Sound der Herbolzheimer Rhythm Combination & Brass prägte. Noch als Student schrieb er Arrangements für Chet Baker, Mike Stern, die Brecker Brothers und viele andere, darunter auch die NDR Bigband. Das war 1986, und Keller war gerade 20 Jahre alt. Seither hat er schon mehr als 200 Titel für die Band arrangiert, die er jetzt als Nachfolger Dieter Glawischnigs leitet. Und da er darüber hinaus als begehrter Drummer immer wieder mit den NDR-Jazzern gespielt hat, scheint er die ideale Besetzung für diesen Posten zu sein.

Die Begeisterung jedenfalls hat er, der gerade seinen 42. Geburtstag feiern konnte, sich bewahrt. Auf die Frage, wie sich ein Rundfunkorchester von heute von seinen Idolen der 40er- und 50er-Jahre unterscheidet, sagt er: "So ein moderner Klangkörper hat natürlich ganz andere Ausrichtungen als die großen Swingorchester. Wir haben viele verschiedene Sachen zu machen. Ich vergleiche so eine Rundfunk-Band mit ihrem extrem gefächerten Repertoire gerne mit einem Theaterorchester. Ein Kulturorchester spielt ja auch nicht nur Mozart oder Beethoven, sondern möglichst viele Komponisten."

Dafür gab Keller in den vergangenen acht Jahren als Leiter der Bigband des Hessischen Rundfunks immer wieder Beispiele. Er machte auf dem Deutschen Jazzfestival in Frankfurt nicht nur den störrischen Free Jazz eines Ornette Coleman Bigband-tauglich, sondern bearbeitete auch Gershwins Oper "Porgy and Bess" oder Bernsteins Musical "West Side Story" für Bigband. Und er leitete das Filmorchester Babelsberg oder orchestrierte Kinofilme.

Welche Schwerpunkte will er beim NDR setzen, will er sich mehr an Gastsolisten, an Sängern wie Instrumentalisten orientieren oder mehr den Workshop-Charakter pflegen? "Ich sehe mehrere Stränge, die die Band hervorragend bedienen kann", schwärmt der Chef, "einerseits kann sie mit Sicherheit hochkarätige Solisten begleiten. Zum anderen ist die NDR Bigband ja ein Ensemble, das schon voll mit erstklassigen Solisten besetzt ist. Wenn Sie einmal ein Who-is-who der deutschen Jazz-Szene nehmen, dann werden Sie in nahezu jeder Sparte Musiker aus der NDR Bigband an führender Stelle finden."

Dass der Jazz heute meistens in den Nachtprogrammen landet, dass die deutsche Bigband-Szene im Vergleich zu den sagenhaften Fünzigern mit Edelhagen und Kuhn, Berking und Lehn, Henkels und Jankowski und wie sie alle heißen kleiner geworden ist, ist ihm bewusst, bedeutet für ihn jedoch Ansporn: "Machen wir uns doch nichts vor: Jazz ist eine Minderheitenmusik. Verglichen mit Klassik ist der Zuhörerkreis kleiner. Wichtig ist es deshalb, neue Zuhörer zu interessieren. Das geht. Ich merke das immer wieder gerade bei jungen Leuten, die zum ersten Mal in ein Bigband-Konzert geschleppt werden. Die sind überrascht, wenn da so viel passiert, auch so viel physische Kraft aufgebracht wird. Nicht selten bekommt man dann zu hören 'Mensch, das war Jazz? Das war ja toll!'. Es gilt, diese Leute ins Boot zu holen. Ob man aus den Nachtprogrammen rauskommt, muss man halt sehen. Wir müssen eine rege Konzerttätigkeit pflegen, um die Leute neugierig zu machen."

Wie geht er mit dem Ruf Hamburgs als Freie und Oldtime-Stadt um? Keller lacht: "Unsere Band gilt da ja als sehr, sehr moderner Gegensatz. Letztendlich lässt sich alles vermitteln durch gute Projektauswahl, geschickte Umsetzung der Projekte und Einbeziehung aller zur Verfügung stehender Kräfte, also den Solisten wie der Möglichkeit, gute Gäste einzubeziehen. Das Wichtigste aber bleibt stets: Musik, die den Zuhörer gefallen soll, muss auch den Musikern Spaß machen."


Band Songs Jörg Achim Keller und die NDR Bigband, 4. und 5. 12., jeweils 20 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio, Oberstraße 120, Karten unter T. 0180/ 178 79 80.