Der eine glaubt an sich, der Nächste an die Liebe - und viele glauben auch an Gott. Glauben scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein. Die Jugend Akademie Neu Allermöhe und die Junge Akademie für Zukunftsfragen haben in einem Projekt 150 Hamburgern die Glaubensfrage gestellt. Diesmal kommentiert Jörg Herrmann, Leiter der Evangelischen Akademie Hamburg, zwei der Antworten

"Ich glaube, dass wir endlich über unseren Tellerrand hinausschauen sollten."

Alexander, 40

Kommentar Jörg Herrmann: Volle Zustimmung Alexander! Wir tun das viel zu wenig. Weil wir erst einmal an uns denken, an unsere Interessen, unsere Familie, unsere Gemeinde, unseren Stadtteil, unser Land, unseren Glauben. Das ist ja auch in Ordnung, wir sollen uns um uns selbst sorgen. Aber zu oft bleibt es dabei. Und das ist zu wenig. Denn dabei bleibt der Nächste auf der Strecke. Und am Ende auch wir selbst, denn, wie sagte es Mario Simmel so schön: "Niemand ist eine Insel." Wer nur auf sich selbst und das Seine sieht, verarmt, schneidet sich ab von Gott und der Welt. Leider neigen Menschen immer wieder zur Selbstbezogenheit. Als Einzelne, aber auch als Gruppe.

Vielleicht kennen Sie das: Man redet in einer Gruppe so über dies und das. Und irgendwie schleicht sich in die Unterscheidung von "uns und den anderen" eine Wertung ein, bei der "wir" irgendwie besser wegkommen als "die anderen". Zum Glück machen wir dann manchmal die Erfahrung, dass es auch andere nette Familien, engagierte Gemeinden und kompetente Kollegen gibt, die sogar manches besser können als wir. Aber es gibt auch den entgegengesetzten Weg. Dann wächst die Abwertung der anderen und schlägt in Hass um: auf Schwule, Juden, Ausländer. Soziologen nennen das gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. So weit darf es nicht kommen. Der christliche Glaube will uns helfen, über den Tellerrand hinauszublicken und den anderen zu sehen. Das ist übrigens nicht nur eine Frage der Anerkennung oder des Mitleids. Denn wer über die eigene Welt hinaussieht und größere Zusammenhänge in den Blick bekommt, dem erschließen sich neue Sinnhorizonte, er oder sie versteht einfach mehr von den Menschen und der Welt.

"Ich glaube an den lieben Gott, weil er mir über Vieles hinweghilft."

Margarethe, 73

Kommentar Jörg Herrmann: Wenn man auf Margarethes Alter blickt, kann man sich vorstellen, dass sie schon einiges erlebt hat. Man braucht ja nur zu überlegen, was sich in ihrer Lebenszeit ereignet hat: Ein Weltkrieg, Auschwitz, Hiroshima, die Bundesrepublik, die Mondlandung, die 68er, der Fall der Mauer, Srebrenica, New York, Fukushima. Und das sind ja nur die weltgeschichtlichen Ereignisse. Was Margarethe in ihrem persönlichen Leben für Erfahrungen gemacht hat, können wir nicht wissen. Nur so viel können wir ihrer Äußerung entnehmen: Es waren viele. Und Vieles davon war schwer zu ertragen. Allein waren diese Zumutungen nicht zu bewältigen.

Das kennen viele. Es gibt Erfahrungen, die unser Vermögen übersteigen. Von denen wir denken, dass wir nicht darüber hinwegkommen. Ich denke an den Tod geliebter Menschen, an das Ende einer Liebe, an schwere Krankheit. Manches kommt einfach so, aus heiterem Himmel. Dann können wir die Klage Hiobs nachvollziehen, wenn er sagt: "Gott greift nach mir im Wettersturm und schlägt mir viele Wunden ohne Grund." Hiobs Klage steigert sich an einigen Stellen im Buch Hiob bis hin zur Anklage Gottes. Hiob macht die Erfahrung der Gottesferne. Margarethe hat die Erfahrung gemacht, dass Gott hilft. Ihr Statement lässt an den 23. Psalm denken: "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich." Solcher Trost kann auf ganz alltäglichen Wegen zu uns kommen: In der Nähe des anderen, in gesprochenen Worten, in Lektüren, im Aufblitzen der Schönheit im Chaos des Alltags. Wir sind auf menschliche und manchmal göttliche Hilfe angewiesen. Nehmen wir sie doch an.