Sie teilen ihre Religiösität, ihr Leben, den Alltag - und die Küche. Zwei Ehepaare sind ausgestiegen, bilden als Laurentiuskonvent die Keimzelle eines ökumenischen Wohnprojekts in Hamburgs neustem Quartier

Um halb sieben gibt es Abendessen. Dann sitzen sie um den großen Tisch im Gemeinschaftsraum. Hinter den Fensterscheiben wächst die Elbphilharmonie, drehen sich die Baukräne. Drinnen beten sie, essen und reden über ihren Tag. Zwei Männer und zwei Frauen. "Die gemeinsame Mahlzeit ist ein Fixpunkt", sagt Antje Heider-Rottwilm. Gekocht wird umschichtig. Manchmal kommt jemand aus dem Haus dazu, setzt sich mit an den Tisch. Wie in einer Familie oder in einer Wohngemeinschaft. Aber diese vier trägt eine andere Gemeinschaft. Sie gehören zum Laurentiuskonvent, einer Kommunität von Menschen unterschiedlicher christlicher Konfessionen. Sie teilen ihren Glauben, ihr Leben, ihren Alltag. Und die Küche.

Mitte Mai sind die beiden Ehepaare zusammengezogen, in eine Wohnung im sechsten Stock des Ökumenischen Forums in der HafenCity. Antje Heider-Rottwilm und ihr Mann Martin Heider, beide 62, haben Erfahrung mit dem Leben im Konvent. Für Dörte, 59, und Ludwig Massow, 65, ist es ein Neuanfang. Sie sind ausgestiegen. Haben gute Jobs, ihr Zuhause, die Sicherheit über Jahrzehnte eingerichteter Leben aufgeben - und wagen zusammen den Aufbruch. "Wir wollen unseren Glauben gemeinsam leben", sagt Dörte Massow. Und sie wollen ihn weitergeben. Die Vier bilden so etwas wie eine spirituelle Keimzelle, das Herz der Hausgemeinschaft in dem Backsteinbau an der Shanghai-Allee. In den vergangenen Wochen sind dort 30 Menschen eingezogen, die sich für ein gemeinsames Leben unter christlichem Dach entschieden haben. Mit einer Kapelle im Erdgeschoß soll das Ökumene-Projekt auch in den Stadtteil strahlen. Am 18. Juni wird Einweihung gefeiert. "Wir haben uns lange vorbereitet", sagt Martin Heider, "jetzt geht es endlich los."

Im Haus scheint es zu vibrieren. Vor Spannung, vor Erwartung, vor Freude auf die neue Gemeinschaft. Immer wieder klopft es an die Tür der Konventwohnung. Der große L-förmige Raum ist Wohnzimmer, Esszimmer und Küche der vier Laurentiusgeschwister, aber er ist auch so etwas wie eine Schaltzentrale. Außerdem hat jedes Paar drei kleine Zimmer und Bad mit insgesamt 60 Quadratmetern für sich. "Das ist schon ein Umstellung", sagt Dörte Massow. 35 Jahren hat das Lehrerehepaar mit ihren drei Kindern in einem 160-Quadratmeter-Haus in Paderborn gelebt. Sie hatten darüber nachgedacht, mit den Heiders ihren Lebensabend in Freiburg zu verbringen. Dann kam die Anfrage des Laurentiuskonvents. Sie mussten sich entscheiden.

Sechs Jahre ist das jetzt her. Antje Heider-Rottwilm, von Beruf Pastorin, war Leiterin der Europa-Abteilung bei der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ihr Mann arbeitete als Schulleiter am Evangelischen Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin. "Wir haben unsere Arbeit geliebt", sagt Martin Heider. Trotzdem haben sie nicht gezögert, nach Hamburg zu gehen. "Es war ein Ruf Gottes", sagt Antje Heider-Rottwilm, die heute das kirchenübergreifende Forum Brücke leitet. Beide kennen das Konventleben, haben 21 Jahre mit ihren drei Kindern in einer Gemeinschaft in einem Dorf nahe Paderborn gelebt. Die HafenCity ist ziemlich das genaue Gegenteil.

Und ein bisschen wie Wüste, eine Bauwüste. Laut, schmutzig, ständig in Veränderung. "Nach dem Leben mit Familie und Beruf in geregelten Bahnen war ich neugierig", sagt Ludwig Massow, der als einziger der vier katholisch ist. Die Gemeinschaft des Konvents kannten sie, "dann bot sich die Möglichkeit, es wirklich zu leben". Die Ökumene ist ihnen wichtig, die Achtsamkeit für die Konfession des Anderen. Die Massows haben vieles weggeben, ihr Haus vermietet, Freunde zurückgelassen. Ja, es gäbe auch einige im Bekanntenkreis, die das verrückt fänden. Auch die Kinder seien skeptisch gewesen. Aber die Situation passte, sagen sie. Und meinen den beginnenden Ruhestand, die erwachsenen Kinder. "Die Alltagspflichten stehen oft dem Gebet und der Einkehr im Weg, aber hier im Haus sind so viele, die regelmäßiges Glaubensleben suchen. Da kann man sich gegenseitig bestärken", sagt Dörte Massow. Jetzt sitzen die beiden im ihrem Teil der Konventwohnung und überlegen, wie sie alles unterbringen sollen. "Heilsame Reduzierung" nennt Ludwig Massow das.

Der Neubeginn ist auch Verzicht. "Wir knüpfen an die Traditionen der Kirche an, buchstabieren sie neu", sagt Pastorin Heider-Rottwilm. "Fromm und politisch." 1959 gegründet gehört der Laurentiuskonvent zur Bewegung der geistlichen Aufbrüche wie die ökumenische Kommunität Taizé. Gewollt ist eine Form verbindlicher christlicher Gemeinde - unabhängig von Familienstand, Alter, Beruf oder Bildungsstand. Namenspatron ist der Heilige Laurentius, der 258 verfolgt und hingerichtet wurde, weil er die Herausgabe des Kirchenschatzes verweigerte und ihn an die Armen verteilen ließ. Es ist eine kleine Gemeinschaft, mit insgesamt 50 Mitgliedern und grundsätzlichen Maximen: Dem gemeinsamen täglichen Gebet, dem Zusammenleben im Alltag, dem Teilen von Eigentum und dem Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung.

Das kann man ganz unterschiedlich leben. "Die Grundfrage ist, wo werde ich gebraucht mit meinen Fähigkeiten und wie kann ich sie mit anderen teilen", sagt Martin Heider, der auf einer halben Stelle an der Wichernschule unterrichtet. "Uns war wichtig, dass der Konvent sich in urbanen Strukturen bewährt. In der HafenCity entsteht Stadt neu."

Bislang war das einzige sichtbare Zeichen des spirituellen Lebens in dem neuen Wasserstadtteil die ökumenische Kapelle an den Marco-Polo-Terrassen. Ein Ort, "um inne zu halten, die Arbeit zu unterbrechen, unser Denken, uns selbst", sagt Antje Heider-Rottwilm bei einem der regelmäßigen Mittagsgebete. Die Gestaltung ist eine der Aufgaben der vier Konventler. Die Bewohner des Ökumenischen Forums kommen, aber auch Menschen aus den Büros. "Wir leben unseren Glauben öffentlich und bringen so christliche Wertmaßstäbe in den Stadtteil", sagt Dörte Massow.

In den vergangenen Jahren haben die Heiders den Aufbau aus einer Übergangswohnung am Kaiserkai gemacht, die Massows kamen in der Seniorenwohnanlage Martha-Stift unter.

Dort fanden auch die Vorbereitungstreffen für die Hausgemeinschaft statt, das Leitbild der Glaubensgemeinschaft entstand mit den Vorstellungen wie sie zeitgemäße Formen des Glaubens erproben, wie sie teilen und Verantwortung für einander übernehmen wollen. Schnell zeigte sich, dass sie nicht allein sind mit ihrer Sehnsucht nach einem Leben im Einklang mit ihrem Glauben, nach Lebensformen jenseits von Individualisierung und Egozentrik. "Viele haben angefragt", sagt Antje Heider-Rottwilm. Und so wurde die Idee größer und es entstanden in der Shanghaiallee 26 Wohnungen - davon neun öffentlich gefördert - für fast 40 Menschen.

"Wir hatten davon gehört und dachten zuerst, dass ein Kloster entstehen soll", sagt Salome Klahn, 27. "Das hat uns interessiert." Henning Klahn, 33, nickt. Beide kommen aus einer freikirchlichen Gemeinde. Mit ihren beiden Söhnen Levi, 3, und dem knapp einjährigen Moses wohnten sie auf der Schanze. "Aber wir waren auf der Suche nach einem Ort, an dem man Glauben anders leben kann", sagen sie. Authentisch. Alltags, nicht nur Sonntags. In einer Gemeinschaft. Nicht als Familie isoliert. Der erste Kontakt zu dem christlichen Wohnprojekt war vor anderthalb Jahren. "Wir mögen Pioniersituationen", sagen der Sozialpädagoge und die Studentin der Islamwissenschaften. Jetzt wohnen sie auf 100 Quadratmetern im vierten Stock des Ökumenischen Forums. Die Hausgemeinschaft ist bunt gemischt mit Menschen in verschiedenen Altersgruppen, Konfessionen, Berufen. Es gibt einen katholischen Priester und auch Zweifler. Wichtig ist Nachbarschaft zu leben, für einander da zu sein. "Aber allen ist klar, dass es vor allem eine geistige Gemeinschaft ist. Die Nähe zum Konvent ist da, wie weit sie geht, bestimmt jeder selbst. Unser kleinster gemeinsamer Nenner ist die Bibel", sagt Henning Klahn. Und sie wollen den Stadtteil prägen. "Ihn sozialer, menschlicher machen, dafür sorgen, dass Gott hier ein Thema wird."

Schon wenige Tage, nachdem alle eingezogen waren, gab es ein erstes großes Essen. "Davor haben wir die Wohnungen gesegnet", sagt Antje Heider-Rottwilm. Es wird feste Uhrzeiten für gemeinsame Gebete geben. Auch das Leben in der Konventwohnung spielt sich ein. "Es ist spannend zu erleben, wie sich im Alltag Gewohnheiten und Bedürfnisse verweben", sagt Dörte Massow. Dazu gehört auch der Morgenkaffee im Bademantel. Dann allerdings geht für die anderen Bewohner die rote Ampel an der Tür an. Über eine gemeinsame Kasse denken die vier nach. Natürlich wissen sie um die Risiken und Unwägbarkeiten ihrer neuen Gemeinschaft. "Es ist nicht sicher, dass es hundertprozentig klappt. Aber wir haben den Glauben und das Vertrauen, dass es wird", sagt Martin Heider. Die vier haben eine Vision, die weiter reicht. Sie wollen zusammen alt werden, sich gegenseitig unterstützen - "lebenslang."