Avantgarde braucht Pflege. Europäische Ensembles und Institutionen unterstützen chinesische Künstler dabei

Die musikalische Avantgarde hat in China einen schweren Stand. Wer von den Komponisten dieses Genre überhaupt pflegt, der fährt zumeist zweigleisig: Im staatlichen Auftrag komponiert man Gebrauchsmusik für den Konzert- und Opernbetrieb; nebenbei und allzu oft nur für die Schublade entstehen die Werke der eigentlich Neuen Musik. Wer nicht für die Schublade schreibt und das entsprechende Renommee hat, der komponiert häufig im Auftrag von Institutionen in Europa oder den USA. Um die Neue Musik in China selbst besser zu verankern, startete die Siemens-Stiftung 2010 eine Kooperation mit dem Zentralen Konservatorium in Beijing. Unter Leitung des Dirigenten Kasper de Roo erarbeitete das Ensemble Modern mit 48 Musikern ein Neue-Musik-Programm mit Klassikern des 20. Jahrhunderts wie Cage, Adams, Reich und chinesischen Zeitgenossen.

Das Ensemble ConTempo Beijing und ihre Frankfurter Mentoren präsentieren die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit nun bei zwei Konzerten in Lübeck (11.8.) und Hamburg (12.8., mit Podiumsdiskussion). Gemeinsam mit dem Zentralkonservatorium in Beijing hat das Schleswig-Holstein Musik Festival außerdem 2012 erstmals den ConTempo-Kompositionswettbewerb ausgelobt. Der Gewinner des ConTempo-Wettbewerbes 2012, der 1988 geborene Li Bo, ist zugleich der aktuelle Preisträger des renommierten Hindemith-Preises, der alljährlich im Rahmen des SHMF verliehen wird.

Von den Mühen, die das Dasein eines zeitgenössischen Komponisten in China und Hamburg mit sich bringt, kann Xiaoyong Chen ein Lied singen. Mit der transsibirischen Eisenbahn kam er 1985 in die Hansestadt, um hier bei György Ligeti zu studieren. Sein Brot verdiente er lange als Chinesisch-Dozent an der Uni Hamburg. Heute ist Chen Professor für Komposition am Konservatorium in Shanghai, in Hamburg ein angesehenes Mitglied der Akademie der Künste und in der Neue-Musik-Szene weltweit eine Größe. Das Hamburger Ensemble Obligat widmete Chen schon 2005 ein erstes Portraitkonzert; nun erweitert das Quintett den Monolog zum deutsch-chinesischen Dialog mit Werken von Chen und Bach (17.8. Hamburg).

Auch das junge Amaryllis Quartett hat sich schon um die Pflege zeitgenössischer Musik verdient gemacht. Am 5.8. spielen die vier Musiker in Hamburg neben Werken von Haydn und Ravel auch "In diesem Augenblick" von Yang Lin. Außerdem steht die Uraufführung von Xiaoyong Chens Viertem Streichquartett auf dem Programm.

Eine Synthese aus Elementen des traditionellen Musiktheaters und modernen Inszenierungsformen streben die Mitglieder der National Academy of Chinese Theatre Arts an. Sie präsentieren die Produktion "Die drei rastlosen Seelen", die auf einem Stück des chinesischen Dramatikers Tang Xianzu beruht (19.7. Hamburg, 21.7. Itzehoe). Tang wird nicht nur wegen seiner Lebensdaten (1550-1617) oft als "der chinesische Shakespeare" bezeichnet.