China hat Generationen erstklassiger Pianisten hervorgebracht. Zahlreiche von ihnen präsentieren sich beim Festival

Wer heute die Stichworte "China" und "Pianist" hört, der denkt unweigerlich nur an einen Namen: Lang Lang. Doch ist ein Phänomen wie Lang Lang nicht vom Himmel gefallen; auch sein Erfolg erwuchs aus einer langen Vorgeschichte und ruht auf einer breiten Basis. Rund 30 Millionen Menschen erlernen in China heute das Klavierspielen. Für chinesische Größenverhältnisse ist das immer noch ein recht elitärer Club, doch aus ihm rekrutiert sich eine Vielzahl neuer Talente.

Selbstverständlich gab es auch vor Lang Lang schon Pianisten-Stars aus China. Ab Mitte der 1950er-Jahre machten chinesische Virtuosen beim Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb Furore. Doch die Karrieren von Liu Shikun oder Yin Chengzong gerieten bald ins Räderwerk der Politik. Fou Ts'ong, der 1955 beim Chopin-Wettbewerb einen Sonderpreis gewonnen hatte, ging 1960 nach London ins Exil. Als Einziger der "alten Garde" wird der Ex-Schwiegersohn von Lord Yehudi Menuhin beim diesjährigen Festival einen Meisterkurs abhalten (Lübeck 23.7. bis 28.7.)

Zhu Xiao-Mei wurde 1949 geboren, just in dem Jahr, in dem die Volksrepublik China aus den Wirren des Bürgerkrieges hervorging. Für die Pianistin waren die Zeitläufte Teil des eigenen Schicksals. Die Kulturrevolution unterbrach auch ihre Karriere; 1979 ging sie in die USA und später nach Paris ins Exil. Der Titel ihrer Autobiografie spricht Bände: "Von Mao zu Bach. Wie ich die Kulturrevolution überlebte". Nicht zufällig steht Bachs Wohltemperiertes Klavier auf dem Programm ihres Konzertes am 12.7. in Reinbek.

Die junge Pianisten-Generation mit Lang Lang an der Spitze ist also nicht die erste Generation von Weltklasse-Musikern aus dem Reich der Mitte; doch sie ist die erste, die gelernt hat, erfolgreich nach den Regel des internationalen Musikgeschäfts zu spielen. Lang Lang und seine Landsfrau Wang Yuja sind heute beim Label Deutsche Grammophon unter Vertrag; für beide war das Schleswig-Holstein Musik Festival ein Sprungbrett zur internationalen Karriere: Lang Lang bekam 2002 im Rahmen des SHMF den Leonard Bernstein Award verliehen. Fünf Jahre später sprang Wang im Rahmen des Preisträgerkonzertes für den verletzten Martin Grubinger ein. 2012 erhielt die Tasten-Elfe mit der Vorliebe für figurbetonte Mini-Mode den ECHO-Klassik-Preis als "Nachwuchskünstlerin des Jahres".

Einer der wichtigsten Mentoren für Lang Lang war am Anfang seiner Karriere der Dirigent und Pianist Christoph Eschenbach. Bis heute verspricht das Zusammentreffen der beiden musikalischen Sternstunden. Zum Abschluss des diesjährigen Festivals wird das NDR Sinfonieorchester unter Leitung von Christoph Eschenbach Tschaikowskys 3. Sinfonie und Beethovens heroisches 5. Klavierkonzert spielen. Solist am Klavier wird Lang Lang sein (25.8. Kiel).

Auch Wang Yuja kommt in guter Gesellschaft: Zusammen mit dem Cellisten Gautier Capuçon gibt sie am 10.7. in Kiel einen Duo-Abend mit Sonaten von Schumann, Brahms und Rachmaninow.

Und die nächste Generation rückt auch schon nach. Cong Bi ist gerade einmal 18 Jahre alt. Beim SHMF 2012 wird er zusammen mit dem Shanghai Symphony Orchestra und Yu Long das Auftaktkonzert zum China-Länderschwerpunkt bestreiten. Auf dem Programm steht u.a. das Klavierkonzert "Er Huang" des Messiaen-Schülers Chen Qigang (14.7. Kiel, 15.7. Hamburg).

Einen distanzierten Blick auf China und alles, was in westlichen Ohren typisch chinesisch klingt, führt die taiwanesisch-amerikanische Pianistin Jenny Lin vor. Sie spielt musikalische "Chinoiserien" aus drei Jahrhunderten, von Couperin über Rossini bis zu John Adams und chinesischen Zeitgenossen (15.7. Lüneburg).