Der Werdegang des Komponisten Tan Dun spiegelt die Entwicklung des modernen China

Er ist ein Superstar. Vom Bergdorf in der chinesischen Provinz Hunan hat ihn sein Weg mitten ins schlagende Herz der westlichen Welt geführt, nach New York: Tan Dun, Jahrgang 1957, Dirigent, Komponist und umtriebiges Kommunikationsgenie, hat erreicht, was es in der westlichen Hemisphäre nur an Glanz und Ruhm zu erreichen gibt. Sein Publikum zählt nach Millionen. 2000 bekam er für seine Musik zu Ang Lees Kampfkunstfilm "Tiger and Dragon" einen Oscar, den Auftrag zu der Oper "The First Emperor" gab ihm kein weniger bedeutendes Haus als die Metropolitan Opera in New York. Keine Form, keine Zeitgeistströmung, die er nicht bedienen würde - und was Neue Medien angeht, kennt er ohnehin keine Berührungsängste, wie etwa seine "Internet Symphony" beweist.

Beim diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festival nun bekommt Tan Dun den Hamburger Bach-Preis überreicht, der ihm 2011 zugesprochen wurde. Und dirigiert, so eine Ehrung ist ja nicht abendfüllend, dazu noch das Konzert mit dem NDR Sinfonieorchester. Auf dem Programm stehen Werke von Prokofieff, Tans Lehrer Toru Takemitsu und die Uraufführung des Schlagzeugkonzerts, das der NDR bei Tan in Auftrag gegeben hat. Den Solopart übernimmt Martin Grubinger.

Tan Duns Werdegang liest sich beinahe wie eine Parabel auf das Schicksal seines Landes. Den Jungen faszinierten die Schamanen in seinem Dorf, die archaischen Rituale und Zeremonien, zu denen oft eine Musik erklang, die mit natürlichem Instrumentarium wie Felsen oder Wasser gespielt wurde. Doch auch schlichten Alltagshandlungen lauschte er ihre Poesie ab. "Das rhythmische Schlagen beim Wäschewaschen am Fluss ist für mich so farbenreich wie Jazzmusik", erinnert sich der Komponist.

Diese frühen Eindrücke beflügelten seine Fantasie - und erregten den Widerwillen der Funktionäre, es waren die Jahre der Kulturrevolution. Wegen "rückwärtsgewandten Denkens" wurde der Heranwachsende auf einer Kommune als Reispflanzer eingesetzt. Seiner Liebe zur Musik tat das indes keinen Abbruch. Von den Bauern lernte er, traditionelle chinesische Streichinstrumente zu spielen. Sobald sich die Gelegenheit bot, schloss er sich einer Theatertruppe an, die Peking-Opern aufführte.

Auf diese frühen Eindrücke und die traditionelle Musik seines Landes kommt Tan Dun immer wieder zurück. Geschickt verschmilzt er Fernöstliches mit Abendländischem. Auch in der Instrumentierung geht er durchaus eigene Wege. "Eine Zimbel kann man in alle möglichen Richtungen schlagen oder reiben", erklärt er. Und warum sollte er, was er für das traditionelle Schlaginstrument herausgefunden hat, nicht auf ein westliches Orchesterinstrument übertragen? Auch ein Cello kann man als Zupf- oder gar Perkussionsinstrument einsetzen oder ihm gar Flötentöne entlocken. Streicher klingen bei ihm schon mal nach einem ganzen Marktplatz chinesisch plappernder Frauen, aber süffige westliche Melodik kann man bei ihm genauso antreffen.

"Manchmal habe ich das Gefühl, nicht ich komponiere die Musik, sondern die Musik komponiert mich", sagt Tan über sein Schaffen. Dass er keine Gelegenheit auslässt, sich Neuerungen anzuverwandeln, hat er schon am Konservatorium in Beijing bewiesen. Dort gehörte er zu einer Gruppe von Studenten, die man als "neue Welle" der chinesischen Musik bezeichnete. Als er 1986 in New York ankam, tauchte er alsbald ein in die dortige Avantgarde-Szene. Auf seinem Weg zum Weltruhm hat Tan Dun eine universell verständliche Tonsprache gefunden, in der seine europäischen und amerikanischen Fans gerne das chinesische Kolorit aufspüren.