Mit “Against The Grain“ gibt der britische Bildhauer Tony Cragg seine Hamburg-Premiere

Seine jüngeren Arbeiten sehen auf Fotografien aus wie aufeinandergestapelte amorphe Gesellen, an manchen Stellen ragt ein langnasiges Gesicht heraus. Bei näherem Hinschauen enthüllen sich diese Objekte als Großskulpturen aus Materialien wie Kunststoff, Bronze oder Holz. Sie wirken verspielt und doch zwingend zugleich.

Der 1949 in England geborene Bildhauer Anthony Cragg zählt zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Seine Werke waren zuletzt im Pariser Louvre, in Peking und Lugano zu sehen. Unter dem Titel "Tony Cragg - Against the grain" präsentiert das Ernst Barlach Haus zum 50. Jubiläum die erste Werkschau des Künstlers in Hamburg. Anders als die international gezeigten Retrospektiven setzt "Against The gain" auf Konzentration. Die von Cragg ausgewählten Werke, darunter auch Neuschöpfungen, ergänzt um Zeichnungen und Aquarelle, beziehen sich auf die Skulpturensammlung des Ernst Barlach Hauses.

Cragg lehnt jedes spirituelle Bekenntnis ab. Gleichzeitig weist seine Beschäftigung mit Strahlungen und Magnetfeldern auf eine Auseinandersetzung mit dem nicht Sichtbaren, aber physikalisch Messbaren hin. Seine mit großem Formwillen aufgeladenen Raumkörper treten neben die ausdrucksstarken Figuren Barlachs. Es entsteht ein lebendiger Dialog aus klassischer Moderne und Gegenwartskunst.

Für Cragg ist eine Skulptur stets mehr, als einen Klumpen Ton zu nehmen und in die Gestalt einer vorformulierten Idee zu pressen. Sie ist das Ergebnis eines Dialogs zwischen Material und Künstler. Im Zuge der Formgebung gewinnt auch der Bildhauer neue Erkenntnisse und Erfahrungen. Die Tendenz zur Entfremdung von der Natur in der jüngeren Bildhauerei vollzog Cragg nicht nach. Für ihn war Kultur in Anlehnung an Hume, Hegel, Marx, Engels oder Bourdieu, eine 'Zweite Natur'. In den 1960er-Jahren war Cragg beeinflusst von der britischen Land Art und der Aktionskunst. Die Welt war für ihn Landschaft plus Gegenstand plus Figur plus Energien und Energiefelder, Strömungen und Schwingungen.

In den 1970er- und 1980er-Jahren setzte er gefundene Materialien und Themen in kontextuell angelegten Installationen um. Später begann er, nach neuen Techniken und eigenständigen Formen zu forschen. Mal sah er die Skulptur aus einer Urmaterie hervorgehen, mal diente sie als Experimentierobjekt für eine zu erforschende Zukunft. In den Willen, das Vorhandene zu strukturieren, mischt sich der Wunsch, dem humanen Wirken eine sinnvolle Richtung zu geben.

Das klassische Konzept der "Statue" gilt für ihn nicht. Craggs Skulpturen sind allansichtig. "Wooden Crystal" (2001) etwa ist eine säulenförmige Arbeit aus kreisförmigen Holzscheiben, die um 40 Grad aus der Horizontalen gekippt sind. Da der horizontale Blick nicht im rechten Winkel auf die Arbeit trifft, sieht der Betrachter eine Reihe von Ellipsen. Auf den Erkenntnissen dieser Arbeit basieren die elliptisch aufgebauten Bronzeskulpturen "Points of View" (2007), bei denen jede Achse wechselnde Gesichtsprofile zeigt.

Cragg wollte keine Porträts kreieren, sondern aufzeigen, wie Ästhetik und Form variieren, sobald man einen Schritt aus der Achse tritt und die Gesichter beginnen, Grimassen zu schneiden. Minimale Veränderungen können ungeahnte Wirkungen entfalten. Tony Cragg, der vor dem Kunststudium in Cheltenham, Wimbledon und London als Labortechniker arbeitete, unterrichtete viele Jahre an der Düsseldorfer Kunstakademie, deren Rektor er heute ist. Er lebt in Wuppertal, wo er 2008 den Skulpturengarten "Waldfrieden" eröffnet hat. Aus diesem visionären friedlichen Waldgelände rund um die Villa des Lackfabrikanten Kurt Herberts, der sich einst verfemter Künstler angenommen hatte, werden die Cragg-Plastiken nun auch in den Jenischpark reisen und hier ihre Kraft entfalten.

Tony Cragg: "Against the Grain" 10.6. bis 30.9., Ein Abend mit Tony Cragg 12.7., 19.00, Anmeldung unter T. 82 60 85

Kuratorenführungen 10.7. und 21.8., jew. 18.00, Ernst Barlach Haus, Jenischpark, Baron-Voght-Straße 50a, Di-So 11.00-18.00