Antony Gormley lädt auf sein grandioses “Horizon Field Hamburg“

Schönheit, meinte der englische Philosoph Edmund Burke, sei ohne gleichzeitiges Unbehagen nicht existent. Einen Ort von solcher Schönheit, die überwältigt und zugleich fürchten lässt, schuf der britische Künstler Antony Gormley nun mit seiner Skulptur "Horizon Field Hamburg" in den Deichtorhallen. Diese Skulptur, eine 1000 Quadratmeter große Platte, aufgehängt in siebeneinhalb Meter Höhe, enthebt den Besucher der Erdenschwere, führt ihn hinauf in's Luftige, wo er auf der riesigen schwarz spiegelnden Fläche die Erfahrung völligen Losgelöstseins macht, aber zugleich auch die der Bodenlosigkeit.

"Horizon Field Hamburg" ist das bislang größte ortsspezifische Kunstwerk von Antony Gormley (geb. 1950). Über zwei Jahre arbeitete er zusammen mit Ingenieuren, Architekten und Fachleuten aus der Industrie an diesem eigens für die Deichtorhallen ent-wickeltem Projekt. Der Eindruck der Grenzenlosigkeit ist kalkuliert. Kein vertikaler Umlauf befestigt das Feld, sondern meterbreite Netze. Zudem hängt das 70 Tonnen schwere Kunstwerk an dünnen Stahlseilen, sodass es im Raum zu schweben scheint. All das macht "Horizon Field Hamburg" ein wenig unheimlich, doch sei versichert, dass es mühelos 100 Personen trägt.

Seit fast 40 Jahren beschäftigt sich Antony Gormley bildhauerisch mit dem Verhältnis des menschlichen Körpers zum Raum. Geschah dies bislang zumeist anhand von Figuren, die er etwa auf den Dächern Manhattans, auf dem Trafalgar Square in London oder auf Berghängen im österreichischen Vorarlberg platzierte, so schuf er diesmal allein die Plattform, auf der Menschen selbst Teil des Kunstwerks werden und aufgefordert sind, sich neuen Erfahrungen des Raums, der Architektur, der Stadt, des eigenen Körpers und der Interaktion mit anderen zu öffnen.

Bis Anfang September steht die nördliche Deichtorhalle allen Menschen offen, die sich diesem Wahrnehmungsexperiment hingeben wollen. Der Eintritt ist auf Wunsch des Künstlers frei, seine einzige Bedingung lautet: Schuhe ausziehen. Und das nicht nur, damit der Glanz der schwarzen Fläche erhalten bleibt, sondern, um die Konzentration auf den eigenen Körper und den umgebenden Raum zu erhöhen.

So beginnt die Bewusstseinserweiterung von "Horizon Field Hamburg" mit einem simplen Akt der Entkleidung. Barfuß oder auf Strümpfen durchqueren die Besucher eine fast völlig entleerte Halle. Über ihnen schwebt die riesige Platte, deren Gewicht sich schon wegen ihres Umfangs in Erinnerung ruft. Ein leicht mulmiges Gefühl beschleicht einen in der "Unterwelt", wie Gormley diese Ebene seines Werks nennt. Sollten sich Menschen auf der zweiten Ebene, dem "Himmel", befinden, entsteht durch leichte Schwingung zudem ein feiner Ton, wie von einer Violine. Seitlich führen Treppen hinauf, und oben angekommen weitet sich der Raum ins schier Unendliche. Auf der hochglänzenden, beweglichen schwarzen Fläche spiegeln sich der Himmel und die funktional-filigrane Architektur der Deichtorhallen. Ein dunkler See ist das, eine erhaben monochrome Fläche, die Personen durch ihre Anwesenheit bemalen, ein fliegender Teppich - Assoziationen kommen in den Sinn, die an Narziss, beim Blick auf sein Spiegelbild im Wasser, oder jene an den Fluss Styx der Unterwelt.

Gormleys Werk fordert Hingabe. An die Grenzenlosigkeit, an sich selbst und uralte Ängste, aber auch an andere, die durch ihre Bewegungen das eigene Körpergefühl bestimmen. Diese Konzentration wird flankiert vom Gefühl der Freiheit. Auch, weil es möglich ist, von hier oben einen Blick auf die umliegende Stadt zu werfen. Eigens zu diesem Zweck wurden Milchglasscheiben entfernt und durch Klarglas ersetzt.

So ist "Horizon Field Hamburg" der Form nach ein minimalistisches und doch überaus vielschichtiges und imposantes Werk. Sein Gesamtkunstwerkcharakter schließt Installation, Architektur, Landschaft, soziale Skulptur und selbst Malerei ein. Der wichtigste Bestandteil ist jedoch womöglich die menschliche Seele selbst, die sich in der schwarzen Fläche gespiegelt sieht.

Antony Gormley: "Horizon Field Hamburg" bis 9.9., Deichtorhallen/Halle für aktuelle Kunst, Deichtorstraße 1-2, Di-So 11.00-18.00, jeden ersten Do im Monat 11.00-21.00, Katalog 14,80 Euro