Die Schau “Lost Places. Orte der Photographie“ erforscht brüchige Räume

Dass Orte, selbst die Hölle, verloren gehen können, erfuhr Vetle Lid Larssen, Schriftsteller und Journalist, auf seinen Reisen nach Nordnorwegen. Angeblich, so hatte er gehört, gäbe es dort den Eingang zur Hölle. Larssen fand ihn schließlich in Form eines Erdlochs, aber niemanden mehr, der es als Tor zum Orkus identifizierte. Weil die Erinnerung an diesen mythischen Ort verloren gegangen war, gab es auch keine Hölle mehr.

So einfach können Orte verschwinden. Aber es ist nicht nur mangelnde Erinnerung, die Orte verwandelt, entzaubert, entleert, vernichtet, entmenschlicht, unzugänglich macht. Sie führen oft ihr eigenes Leben und erleiden ihr eigenes Schicksal. Mit "Lost Places" bringt die Kunsthalle solche Un-Orte, Nicht-Orte, Gegen-Orte oder verwandelte Orte in den Fokus der Wahrnehmung. Die Ausstellung greift dabei auf Fotografien, Videokunst und Installationen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler zurück. Mit zahlreichen Leihgaben aus Museen und privaten Sammlungen zeigt sie rund 20 unterschiedliche Positionen, Arbeiten etwa von Thomas Demand, Andreas Gursky, Jan Köchermann, Alexandra Ranner und Tobias Zielony.

Das ehemalige Grande Hotel in Beira in Mosambik galt seit seiner Errichtung 1955 als eines der luxuriösesten Hotels Afrikas. Inzwischen ist es zum nackten Betonskelett verkümmert, zum Elendsquartier. Guy Tillim hat diesen Ort im Jahr 2008 aufgesucht. Ein wenig erinnern seine Fotografien an verlassene Schweizer Sanatorien, deren Glanz bis zu schäbigen Gemäuerleichen abgeblättert ist. Das Leben im einstigen Grande Hotel geht weiter. Aufgehängte Wäsche, hin und wieder ein entfernter Mensch im Hintergrund erzählen von der schleichenden Übernahme des einstigen Kolonialgebäudes durch eine neue Klientel. Orte wie diese sind für Katalogautor Jörg Dünne Gegen-Orte, Orte, "die soziale Funktionen von der Abweichung bis hin zur Kompensation erfüllen, für die anderswo kein Platz ist". Auch die vor Kurzem geschlossene mexikanische Mülldeponie Bordo poniente, 2002 von Andreas Gursky aufgenommen, war und ist noch heute so ein Gegen-Ort. Eine Stadt in der Stadt, in der Menschen von der Verwertung des Mülls leben. Bei Gursky aber verschluckt der Müll die Einwohner.

Die negative Steigerung solcher Gegen-Orte sind Un-Orte, "an denen menschliches Leben unmöglich geworden ist". Sie tauchen etwa in Sarah Schönfelds Fotografien auf. In Aufnahmen von Kolyma im Norden Sibiriens, einer Gegend, die in der Stalinära unter dem Zeichen von Zwangsarbeit und Uranabbau stand. Eine Unwirtlichkeit des Ortes thematisierte Schönfeld auch im Material selbst. Neben eigenen Fotografien nutzte sie historisches, im Lager gefundenes, durch Witterung und Strahlung beschädigtes Filmmaterial. So wird bereits das Bild selbst zum Zeichen der "Unorthaftigkeit Kolymas".

Steigern lässt sich die Unbewohnbarkeit solcher Un-Orte kaum, wohl aber im Akt einer künstlichen Ortserzeugung ein weiteres "Un"-Wesen einführen: die Unmöglichkeit der Begehbarkeit. Das "Haus I" (2008) von Alexandra Ranner ist ein solch erfundener Ort, die Fotografie einer Rauminstallation, zu der der Zugang unmöglich ist. Das Versiegeln eines Raumes offenbart sich auch in Gregor Schneiders "Haus ur" (1989/90). Arbeiten wie diese thematisieren Haus und Wohnung von einer grundsätzlich existenziellen Perspektive aus. "Lost Places" versammelt eine Vielzahl verlorener Orte. Auch virtuelle, wie im Fall der Fotografien von Beate Gütschow, deren Fiktivität an reale Landschaften und Städte erinnert.

Aber auch solche, die durch einen dramatischen Einbruch in Sekundenschnelle verloren gehen. In "After a Flash, Flood, Rancho Mirage, California, July 1979" richtet Joel Sternfeld den Blick auf ein Luxusanwesen, an dessen Mauern ein tiefer Abgrund klafft. Wie mit einem Trennmesser schied in dieser Aufnahme eine Katastrophe den Natur- vom Kulturraum und zeigt die drohende Brüchigkeit und Gefährdung scheinbar stabiler sozialer Räume auf.

Dem plötzlichen Einbruch dieser Katastrophenbilder steht der schleichende Verfall einst belebter Orte gegenüber. Modernen Ruinen gleichen Jörn Vanhöfens Aufnahmen ehemaliger Wohn- und Industriebauten oder die "Wende-Gelände" von Sarah Schönfeld: Orte im Osten Deutschlands, denen der politische Umbruch den Todesstoß versetzte. Verwaiste Schwimmbäder, öffentliche Räume auf dem Rückzug vor der Übermacht der Natur. Verloren zeigen sie sich aber auch dort, wo statt Zerfall Umbau einsetzt, ein Raum von einer ehemaligen in eine neue Funktion überführt wird und zugleich seines Charakters beraubt. Die Ausstellung wird ermöglicht durch Ernst & Young und unterstützt durch die hamburgische Kulturstiftung.

"Lost Places. Orte der Photographie" 8.6. bis 23.9., Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-20.00