Der eine glaubt an sich, der Nächste an die Liebe - und viele glauben auch an Gott. Glauben scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein. Die Jugend Akademie Neu Allermöhe und die Junge Akademie für Zukunftsfragen haben in einem Projekt 150 Hamburgern die Glaubensfrage gestellt. Diesmal kommentiert Stephan Loos, Direktor der Katholischen Akademie Hamburg, zwei der Antworten

Ich glaube daran, dass Gott auf mich aufpasst.

Christa, 71

Kommentar Stephan Loos: Meine erste Reaktion auf dieses Zitat war: vielleicht muss man das Alter von Christa erreicht und eine entsprechende Lebenserfahrung oder die Naivität eines Kindes haben, um sich in einem so kurzen, einfachen Satz zu Gott zu bekennen. Ich bewundere dies - gerade wenn ich mir vorzustellen versuche, was Christa alles erlebt haben mag. Glücklich, wem diese Sicherheit und Geborgenheit geschenkt ist. Aber da gibt es auch eine Stimme in mir, die sich gegen das Bild eines aufpassenden Gottes wehrt. Vielleicht habe ich zu lange Theologie studiert, vielleicht zu viel Sigmund Freud und George Orwell gelesen, um davon absehen zu können, welch' negativen Auswirkungen die Vorstellung eines allgegenwärtigen Gottes, der auf den Menschen aufpasst, haben kann: der "Aufpasser-Gott", der einem Über-Vater gleich, den Menschen immer und überall im Blick hat, ist oft - auch von der Kirche - als Drohmittel missbraucht worden. Denn die Vorstellung, dass Gott alles überwacht und jedes moralische Fehlverhalten ahndet, schafft Angst und schüchtert ein. So schön die Bilder des Psalms 139, der von dem Menschen vor dem allwissenden Gott erzählt, sein mögen, sie haben auch etwas Unheimliches. Dies zeigt die Ambivalenz von Bildern, gerade wenn es um Gott geht. Wir müssen unsere Gottesbilder immer wieder überdenken, ja zerstören, weil Gott größer ist als jedes Bild. Mich fordert Christas Bemerkung heraus, beim Bild des aufpassenden Gottes nicht gleich an den Aufpasser-Gott zu denken, sondern Gottes Aufpassen eher als ein Behüten zu verstehen.

Ich glaube an die Freundlichkeit

Malte, 18

Kommentar Stephan Loos: Ja, ich glaube an die Freundlichkeit. Aber ist der Glaube auch durch Erfahrung gedeckt? Bei genauerer Betrachtung wohl nicht. Denn schaue ich mir die Realität an, stelle ich fest: da wird gelogen und betrogen, beleidigt und beschimpft, gestoßen und geschlagen. Glaub' ich an die Freundlichkeit? Ja, aber mein Glaube bekommt Risse. Ist es nicht anstrengend, den Mitmenschen zu treten, frage ich mich mit Berthold Brecht. Und geht die Gier nicht einher mit einer vor Mühe geschwollenen Stirnader? Wie angenehm könnte es sein, stattdessen einfach nur freundlich zu sein!

"Aber das arglose Wort ist töricht", schreibt Brecht in dem Gedicht "An die Nachgeborenen" und fügt hinzu: "Eine glatte Stirn deutet auf Unempfindlichkeit hin." Denn in den "finsteren Zeiten", in denen er zu leben meint, sei das, was weise ist, leider nicht lebbar: "Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit / Ohne Furcht verbringen / Auch ohne Gewalt auskommen". Er könne nicht weise sein, denn die Lebensumstände lassen es nicht zu: "Ach, wir / Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit / Konnten selber nicht freundlich sein."

Haben sich die Zeiten geändert?

Wohl kaum! Auch heute bestimmen Unrecht und soziale Ungleichheit unsere Welt. Auch heute leben die einen auf Kosten der anderen. Wie naiv scheint also der Glaube, man könne freundlich sein! Aller Erfahrung zum Trotz bleibe ich dabei: ich glaube an die Freundlichkeit, weil ich an den glaube, von dem es im Psalm 100 heißt: "Denn der Herr ist freundlich, / ewig währt seine Huld".