Er war Messdiener und ist jetzt Intendant des Thalia-Theaters. Beides hängt enger zusammen als man denkt. Denn die Nähe zum Theater ist im Katholischen groß, meint Joachim Lux. Momente der Ruhe sucht er in der Kirche St. Elisabeth

Kaum mehr als eine Handvoll Leute trudeln durch das eiserne Kirchenportal hinaus ins Freie. Die Mittagsandacht in der St. Elisabeth-Gemeinde hat nahezu unter Ausschluss der Gläubigen stattgefunden. "Schade", sagt Joachim Lux. "Ein Bild für das Versickern einer Tradition."

Die katholische Kirche in der Oberstraße ist Heimatgemeinde von Joachim Lux (54), dem Intendanten des Thalia-Theaters. Für einen Katholiken aus Münster ist schon die schlichte Optik gewöhnungsbedürftig. "Ich komme ja aus einer Stadt, deren Panorama von Kirchen dominiert ist", sagt er lächelnd. "Ich mag Städte, deren Stadtbild von Kirchen geprägt ist. Das war in Köln so, mit all seinen romanischen und gotischen Kirchen, und erst recht natürlich auch in Wien mit seiner barocken Tradition - das fehlt mir schon." Aber er habe sich an das Fehlen gewöhnt wie an den Hamburger Regen. Joachim Lux vergeudet keine Energie für Dinge, die er nicht ändern kann. Er spricht druckreif und überlegt, hütet die Sprache so sorgsam wie sein Innenleben. Über allzu Privates mag er nicht sprechen, nur so viel: dass er immerzu gejagt sei von Terminen, am Tag, am Abend, ständig. "Kirchen sind Orte, in denen ich gelegentlich herunterkommen kann und mich versenke. Allerdings bin ich nicht überwiegend als religiöser Mensch unterwegs." Ab und zu besucht der charismatische Theatermann mit seiner Frau, der Dramaturgin Susanne Meister, und den beiden Kindern den Sonntagsgottesdienst in St. Elisabeth. Wobei Konstantin (10) und Katharina (12) allmählich die pubertäre Verweigerung entdecken. "Da geht es jetzt los mit den grundsätzlichen Fragen", sagt Lux, den das nicht weiter besorgt - schließlich war er selbst früher ein Rebell. Bewusst christlich erziehe er seine Kinder auch nicht, aber ihnen gewisse Grundlagen zu vermitteln sei unabdingbar. "Dann haben sie später die Freiheit, sich dafür oder dagegen zu entscheiden."

Dafür. Oder dagegen. Auf die Gretchenfrage nach der Kirche kann Joachim Lux selbst keine einfache Antwort geben, dazu ist er zu überlegt. "Ich habe", sagt er, "eine hohe Differenz zu vielen kirchlichen Themen." Das betrifft vor allem den Absolutheitsanspruch der katholischen Lehre.

"Absurd", findet Lux. Wesentlich ist für ihn dagegen, dass Religionen die universalen Fragen der Menschheit aufwerfen. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich seines Todes bewusst ist", sagt Joachim Lux.

Er wirkt wie jemand, der sich häufig damit auseinandergesetzt hat. "Und weil es sehr schwer ist, sich damit abzufinden, denkt sich der Mensch seit Tausenden von Jahren Geschichten aus." Vor allem die aus dem Alten Testament reizen den Intendanten, weil sie menschliche Dramen zum Ausdruck bringen. Der Mord von Kain an seinem Bruder Abel. Moses. Die zehn Gebote. Das sind Texte von großer Kraft und einer Klarheit, die heute noch wirkt. "Die Sprache ist altmodisch, der Inhalt ist es nicht", findet Joachim Lux. Vater und Mutter ehren, was hieße das denn anderes als Achtung zu zeigen vor den eigenen Eltern.

Drei Kinder waren sie zu Hause, der Vater Jurist, die Mutter Hausfrau. Sonntags ging es ungefragt gemeinsam zur Kirche, und Lux schlug einen damals üblichen Weg ein: Messdiener in der Pfarrei, später im Dom zu Münster, danach Engagement in der Katholischen Jungen Gemeinde, "inklusive hammerharter Revolte", wie er achselzuckend hinzufügt. "Viele Aspekte in der katholischen Erziehung sind ja wirklich problematisch. Wenn man jung ist, grenzen sie geradezu an Freiheitsberaubung."

Erst mit den Jahren bemerke man die tiefe Prägung. Die, sagt Lux, erkenne er auch bei Kollegen auf Anhieb. So sei ihm Wilfried Minks, der große Bühnenbildner und Theaterregisseur aus der ehemaligen Tschechoslowakei, sofort als katholisch sozialisiert aufgefallen. Lux lacht: "Schon nach drei Szenen war uns klar, dass wir gleicher Herkunft sind." Minks hatte dasselbe Gespür für ästhetische Inszenierung - das Licht, der Weihrauch, die Kostüme. "Die Nähe zum Theater", sagt Lux, "ist im Katholischen sehr groß."

Insofern war der Weg von der Dramaturgie der Kirche zum Dramaturgen am Wiener Burgtheater durchaus gradlinig: "Das Theater bindet das Katholische in eine Lebensform, die mir möglich ist." Schon mit 15 entdeckt er, als Statist an der Oper, den Sog der Bühne. Er studiert Geschichte und Germanistik mit Abschluss Staatsexamen, arbeitet in Köln, Düsseldorf, Bremen und folgt dann dem Ruf aus Wien. 2006 wird er dort zum Chefdramaturgen ernannt. Lux ist unerschrocken im Umgang mit provokanten Stoffen und Autoren wie Elfriede Jelinek oder Rainald Goetz. Auch am Thalia Theater, wo Lux 2009 Ulrich Khuon ablöst, macht er viel von sich reden. Lux poltert nicht, wenn seine Kritiker das tun, er findet Widersprüche belebend. "Hamlet" war so eine Geschichte, deren Inszenierung hohe Wellen schlug, oder das "Gólgota Picnic" im Thalia an der Gaußstraße, gegen dessen Bühnennackedeis religiöse Eiferer reflexartig protestierten. Lux wirkt amüsiert: "Das war in Wahrheit ein unglaublich moralisches Stück."

Religiöse Aufführungen seien das allesamt nicht, vielmehr Stücke, bei denen die Sinnfrage mitschwinge, wie bei Lessings "Nathan der Weise".

Joachim Lux bleibt weltanschaulich in seinem eigenen Kulturkreis. Den interpretiert er in geradezu protestantisch-aufgeklärter Freiheit. Den Glauben an einen personalen Gott würde Lux so eng nicht formulieren. "Ich glaube an etwas, das außerhalb meiner selbst liegt", sagt er. Und fügt an: "Ich bete auch. Auf meine Art." Insbesondere bei Themen, die um familiäre Hoffnungen und Befürchtungen kreisen. Genauer werden möchte er nicht. "Es ist schwer, vollständig alleine mit Dingen fertig zu werden." Nicht alles können andere Menschen abfedern, auch wenn zwischen ihnen manchmal das passiert, was sich Transzendenz nennt: ein Moment, der unverhofft die alltägliche Erfahrung überschreitet und der das Herz öffnet für etwas Tieferes. In der Kunst passiere das ohnehin, in glücklichen Momenten. "Ich bin im Theater immerzu auf Sinnsuche", sagt Lux und seine Augen leuchten. "Und wenn ich Glück habe, gehen Welten auf." Dann kreuzen sie sich wieder aufs Schönste: die Religion und das Theater.

Infos zur St. Elisabeth-Gemeinde (Harvestehude) unter: www.st-elisabeth-hh.de