An was glauben Sie? Matthias Matussek hat eine Mission. Der Journalist kämpft wortreich, oft polemisch und provokant für seinen Glauben. Die Kraft dafür holt der Katholik sich sonntags in der St.-Elisabeth-Kirche in Harvestehude

Jeden Sonntag ist er hier, sitzt beim Gottesdienst in der katholischen St.-Elisabeth-Kirche im hinteren Bereich. Meistens kommt Matthias Matussek, 57, ohne Begleitung in dieses schlichte, fast protestantisch anmutende Gotteshaus in Harvestehude. Er brauche diese eine Stunde in der Woche, in der er mit Gott alleine ist, sagt der "Spiegel"-Journalist. Es ist seine Zeit, in der er Kraft sammelt - für den Kampf da draußen. Den Kampf gegen die Ungläubigen, die Zweifler und Kritiker. Denn Matthias Matussek ist eine Art moderner Kreuzritter. Ein Mann mit der selbst auferlegten Mission, den katholischen Glauben zu verteidigen.

Seine Waffen sind Worte, wohlgewählte, oft scharfe und polemische, manchmal zornige und auch gerne mit einer Prise Ironie gewürzt. Die setzt er ein in Essays, Talkshows, Podiumsdiskussionen und zuletzt in einem provokativen Buch mit dem Titel "Das katholische Abenteuer" (dva, 358 Seiten, 19,99 Euro). Wo Matussek auftaucht, wird gestritten. Denn in Zeiten, "in denen viele Menschen und Medien fast reflexhaft antikatholisch sind" und viele Gläubige sich schamhaft verstecken, hat dieser hochgewachsene Intellektuelle beschlossen, aus der Deckung zu kommen.

Der Messdiener

Der Glaube wurde Matthias Matussek quasi in die Wiege gelegt - schon als Baby muss er das Christkind mimen, beim privaten Weihnachtsspiel zu Hause. Er wächst liebevoll umsorgt mit drei Brüdern auf in der Bistumsstadt Münster. Seine Eltern sind tief gläubig, der Vater, Jurist und CDU-Politiker, liest aus der Bibel vor. "Die Abenteuer der Heiligen kannte ich früher als die der Sagenhelden." Der Sonntagsgottesdienst ist Pflicht, ebenso wie das häufige Gebet und die regelmäßige Beichte. "Beim Rosenkranzgebet vor dem Hausaltar bin ich innerlich schon mal weggedriftet", sagt Matussek, aber ansonsten nimmt er klaglos das volle katholische Kinder- und Jugendprogramm mit. Alle Brüder werden Messdiener und gehen ins Jesuiteninternat. Schlafsaal mit 40 Jungs, nur kaltes Wasser und lateinische Messe bereits vor dem Frühstück.

Der verlorene Sohn

Vielleicht ist es diese Überdosis an Religiosität gemischt mit den Pubertätshormonen, die Matthias Matussek mit 14 Jahren gegen seinen strengen Vater und die Kirche aufbegehren lässt. "Mein Vater bot einfach genug Fläche, um gegen ihn zu rebellieren", sagt Matussek. Er verlässt das Internat, bleibt in der Schule sitzen und zieht mit 16 Jahren in eine "Mao-WG" in Stuttgart. Kiffen, Protest, Politik - ein endloser Sommer. Matthias Matussek ist mittendrin in den wilden 68ern. "Nicht mehr Gott, sondern der Marxismus erschien mir die plausibelste Antwort auf die Probleme der Welt."

Er verliert sich und den Glauben an Gott und die Kirche. Er fährt nach Indien, ohne erleuchtet zu werden. Es ist diese haltlose Zeit, die für ihn die prägenste seines doch eigentlich gesicherten Lebens ist. Ein junger Mann, der vieles kann, dem die Welt offensteht, der geliebt und behütet aufgewachsen ist - und den dennoch der Lebensmut verlässt. Er ist ganz tief unten. "Ich war aus meinem Gleichgewicht gefallen, einsam, narzisstisch - und unglücklich verliebt", sagt er. Eine Freundin bringt ihn in eine Klinik. Dort findet er wieder zu sich selbst.

Zurück zu Gott und der Familie bringt ihn jedoch sein Vater. Der besucht ihn einige Tage vor Ostern. Sie unternehmen lange Spaziergänge, beten. "Und in diesen Tagen der Passion spürte ich, dass es tatsächlich auch für mich die Hoffnung auf eine Auferstehung geben konnte." Die Parabel vom verlorenen Sohn ist seither seine biblische Lieblingsgeschichte. "Mit ihr kann ich mich voll identifizieren".

Der Missionar

Danach hat Matthias Matussek einen inneren Auftrag: schreiben. Sich einmischen, mitmischen, mit Worten Menschen bewegen. Er studiert zielstrebig Germanistik, Amerikanistik und Publizistik in Berlin. Schon mit 20 Jahren arbeitet er nebenbei als Journalist. Er reist in ferne Länder, trifft ungewöhnliche Menschen an ungewöhnlichen Orten. "Stets habe ich mich für Randfiguren interessiert, vielleicht weil ich mich selber in ihnen fand", schreibt er in seinem neuesten Buch.

Matthias Matussek als Randfigur? Das mutet seltsam und fast kokett an bei einem so selbstbewussten Menschen, der überall die Diskussion sucht, 20 Bücher - davon einige autobiografische - geschrieben hat und so mitten im Leben zu stehen scheint. Bei einem, der glücklich verheiratet ist und einen 16 Jahre alten Sohn hat. Doch genauso widersprüchlich sind bei ihm Aussagen wie "es ist gefährlich, wenn Menschen nur noch nach Konsum streben", während er in seinen schicken, teuren Klamotten in seiner schicken, teuren Wohnung nahe der Alster sitzt und vor dem Haus ein großer BMW parkt.

Geradezu verstörend ist jedoch sein unbedingter, unkritischer Gehorsam gegenüber der katholischen Kirche, der eher zu einem Mönch im Kloster als zu einem Weltbürger wie Matussek passt. Der "Spiegel"-Journalist ist gerade zu reflexhaft prokatholisch. Das Zölibat? "Das ist etwas ganz Tolles, das muss bleiben, weil Priester sich damit ganz Gott und dem ewigen Leben hingeben." Missbrauch durch Priester? "Empörend, aber 99,9 Prozent der Fälle ereignen sich außerhalb der katholischen Kirche." Der Papst? "In Glaubensfragen unfehlbar." Unbefleckte Empfängnis? "Wenn Leute ans telepathische Löffelbiegen glauben, warum dann nicht an eine jungfräuliche Maria?"

Meint er das ernst oder ist das die reine Provokation, die er so liebt? Wo sind die Zweifel, die inneren Widersprüche, die so viele Gläubige quälen? Er sei ein Getriebener, sagt er. Doch wer um Himmels willen treibt ihn an, für seinen Glauben die Neutralität eines Journalisten zu verlassen, seinen Glauben aus der Privatsphäre in die Öffentlichkeit zu zerren, "auch wenn ich damit das Risiko der Lächerlichkeit eingehe"? Matthias Matussek sieht seine Mission als Teil von Gottes Plan mit ihm. Er ist überzeugt, dass der Aufwand sich lohnt. Es hat fast was Kindliches wenn er sagt: "Dieser Glaube ist so fröhlich und er gibt dem Leben einen Sinn. Ohne ihn wäre die Welt unbarmherzig." Und diese Welt zu verteidigen, das passt ja auch ganz gut zu einem modernen Kreuzritter.