Der Stadtplaner Michael Mathe über realistische und unrealistische Ziele der IBA und igs

Das Bezirksamt Mitte ist Kooperationspartner der Internationalen Bauausstellung (IBA) und der Internationalen Gartenschau Hamburg (igs). Michael Mathe ist dort Amtsleiter für Stadt- und Landschaftsplanung.

Hamburger Abendblatt:

Weswegen hat man die IBA und igs nach Wilhelmsburg geholt?

Michael Mathe:

Die Stadt hat erkannt, dass sie dem doch sehr belasteten und zum Teil auch instabilen Stadtteil mit einem gezielten Förderprogramm und Geldern bei der Entwicklung helfen muss. Wilhelmsburg ist deshalb auch seit Mitte der 90er-Jahre Sonderfördergebiet. 2004 hat dann der Senat das Projekt "Sprung über die Elbe" ins Leben gerufen und ein Gesamtkonzept entwickelt, wie man strukturell etwas verändern kann. Es war schnell klar, dass es nicht ausreichen würde, nur einzelne Bauprojekte zu realisieren.

Was erhoffen Sie sich von diesen Ausstellungen für den Stadtteil?

Mathe:

Dass eine positive Grundstimmung entsteht und gravierende Defizite angegangen werden. Dabei wäre es unrealistisch zu glauben, dass mit dem Ende des IBA-Präsentationsjahres 2013 die Probleme von Wilhelmburg gelöst sind. Aber es ist eine große Chance, jetzt die Aufmerksamkeit auf die Elbinsel zu legen und dabei zu zeigen, dass es sich lohnt, dort zu investieren. Dass Wilhelmsburg auch liebenswert ist. Dazu ist es wichtig, dass man das Vertrauen der Bewohner und auch künftiger Projektpartner gewinnt. Stadtteilentwicklung ist auf einen längeren Zeitraum angelegt. Wichtig ist, dass man die Nachhaltigkeit und Nachnutzung der Projekte sichert.

Was sind für Sie die drei wichtigsten Ziele der IBA?

Mathe:

Das Thema Wohnen hat einen sehr hohen Stellenwert. Wir brauchen eine Mischung aus öffentlich gefördertem Mietwohnungsbau und Stadthäusern, die Neu-Bürger anziehen. Zudem eine andere Bildungslandschaft. Mit dem "Tor zur Welt" an der Krieterstraße, mit dem Sprach- und Bewegungszentrum, mit Elterncafés schaffen wir Ansatzpunkte, auf die man bauen kann. Das ist dann interessant für Familien, die ansonsten ins Umland ziehen oder Wilhelmsburg verlassen wollen. Und drittens muss in Wilhelmsburg auch die Nahversorgung auf neue Beine gestellt werden - Stichwort Einkaufszentrum Berta-Kröger-Platz oder Standort Veringstraße. Es gibt dort viele Rest-Zentren, die nicht mehr funktionieren.

Läuft alles so, wie es ursprünglich geplant war?

Mathe:

Einiges, was geplant war, wird 2013 noch nicht fertig sein. Es gibt Zielkonflikte, wie das Thema Verkehr oder die große Nähe zu Industrieanlagen im Westen und zur Port Authority, die ganz genau auf ihre Bereiche schauen. Deren Entwicklung wollen wir nicht gefährden. Und für einzelne Standorte sind deutlich längere Vorlaufzeiten in der Projektentwicklung erforderlich. Und ich denke, aufseiten der IBA hat man auch gedacht, dass man schneller mehr Investoren findet.

Wieweit wurden die Wilhelmsburger in diesen Prozess mit einbezogen?

Mathe:

Grundlagen vieler Projekte gehen auf ein sehr intensives Bürgerbeteiligungsverfahren Mitte der 90er-Jahre in Wilhelmsburg zurück. In vielen Arbeitsgruppen wurde damals besprochen, welche Probleme es auf der Insel gibt und in welchen Bereichen dringender Handlungsbedarf besteht. Daraus entstand ein Weißbuch mit dem Titel "Insel im Fluss, Brücken für die Zukunft". Zudem gibt es ein IBA/igs-Beteiligungsgremium aus Bürgern - und unser Bezirk hat Ende 2008 einen Beirat für Stadtteilentwicklung auf der Elbinsel eingesetzt.

Aber es gibt doch Vermittlungsprobleme. Hat man vergessen, die schönen Prospekte für die Hamburger zu übersetzen?

Mathe:

Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass man manches vielleicht frühzeitiger und anders hätte kommunizieren müssen. Denn es gibt bei vielen Projekten Fragen vonseiten der Bewohner wie: was denn ein Smart-Price-House oder ein Material-House sei. Man muss sich schon immer klarmachen, dass bei bestimmten Planungen die Ziele nicht selbsterklärend sind. Die Wilhelmsburger möchten, wenn Wohnungen neu gebaut werden, dass diese günstig und für sie sind. Natürlich müssen wir das Wilhelmsburger Mietniveau im Blick haben. Das tun wir in unseren Sanierungsgebieten im Weltquartier oder im Reiherstiegviertel. Und wir wollen mit der IBA solche Standorte entwickeln, die Neu-Bürger gezielt ansprechen wie die Neue Mitte Wilhelmsburg und Schlöperstieg.

Deswegen müssen wir viel Überzeugungsarbeit vor Ort und in unseren Beiräten leisten. Denn von alleine kommt die "gesunde Mischung" der Bevölkerung nicht. Das muss man bei den Planungen zukunftsorientiert im Blick haben.

Besteht die Gefahr, dass aus Wilhelmsburg eine zweite Schanze mit explodierenden Mietpreisen wird? Viele haben Angst vor Verdrängung.

Mathe:

Wir werden mögliche Gentrifizierungs-Prozesse genau beobachten und darauf reagieren. Erste Tendenzen scheinen sich im Reiherstiegviertel abzuzeichnen. Zurzeit prüfen wir, ob der Einsatz einer Sozialen Erhaltensverordnung sinnvoll sein könnte. Damit könnten Aufwertungsprozesse wie Luxus-Modernisierungen verhindert werden, um die Zusammensetzung der Wilhelmsburger zu schützen.

Dennoch soll Wilhelmsburg zu einem Stadtteil werden, in den man nicht nur geht, weil hier die Wohnungen günstig sind, sondern in dem man auch gerne wohnt, weil es stabile Nachbarschaften und gute Angebote in den Bereichen Bildung, Kultur und Freizeit gibt.