Der neue Saal des Festivalorchesters entsteht in einem Skulpturenpark.

Die junge Chinesin hat die Augen geschlossen und den Kopf leicht geneigt. Sie wirkt so in sich versunken, als hätte sie sich die Bettdecke bis unter die Nase gezogen - doch sie steht aufrecht, die Bettdecke ist eine Plastikplane, und auf ihrem chromfarbenen Schädel spiegeln sich die Neonröhren, die weit oben unterm Dach der Fabrikhalle hängen. Die Dame ist eine Skulptur des chinesischen Bildhauers Liu Bolin und wartet darauf, ausgepackt und an ihren Platz gebracht zu werden. Einen Raum weiter galoppieren vier hölzerne Reiter auf hüfthohen Sockeln ins Leere; am anderen Ende der Halle dieselt ein Lkw rückwärts, rufen Arbeiter und laden Exponate aus. Zwischen den Stahlträgern und rohen Wänden der Büdelsdorfer Carlshütte herrscht Hochbetrieb.

Büdelsdorf? Büdelsdorf. Der unscheinbare Nachbarort von Rendsburg beherbergt eine international beachtete Kunstausstellung, die "NordArt". Am 4. Juni öffnet sie zum 13. Mal ihre Pforten. Rund 250 Künstler aus 55 Ländern zeigen etwa 1000 Werke. 22 000 Quadratmeter Hallenfläche und acht Hektar Park bespielt die Ausstellung allein auf dem Fabrikgelände, dazu kommen Standorte in der Stadt. Träger des Ganzen ist die Initiative "Kunstwerk Carlshütte", das meiste Geld kommt von einem örtlichen Unternehmer: Hans-Julius Ahlmann, Chef der weltweit operierenden ACO Gruppe, hat sich mit der NordArt einen Traum erfüllt. Diesen Sommer baut er ein Domizil für eine weitere Muse: einen Konzertsaal.

Wenn ein Traum wächst, braucht man schon mal ein neues Büro. Nur hat dessen zahnpastaweiße Rigipswand eine Macke. Ganz oben, da, wo nur ein Gabelstapler hinreicht. "Hat wieder einer nicht aufgepasst", grummelt Wolfgang Gramm. Der Mann von der hageren Gestalt mit dem Kaiser-Wilhelm-Schnauzer und dem Raucherbass ist für die Bauaufsicht zuständig. Vor allem aber ist er künstlerischer Leiter der "Kunstwerk Carlshütte" und Kurator der NordArt. Und ein Besessener: Er ist nach China gereist und nach Amerika, um die Künstler zu treffen. Er hat den Pegasus-Torso herbringen lassen, die großformatigen Ölbilder und die seidig glänzende Endlosschleife aus Edelstahl. Und wenn alles ausgepackt ist, knobelt er die besten Standorte für die Exponate aus. Nach den Ringen unter seinen Augen zu schließen, kostet das schon mal den Nachtschlaf.

Von der Halle zum Park sind es nur ein paar Schritte. Zwischen alten Apfelbäumen verteilen sich überlebensgroße Skulpturen über das Gras. Gramm folgt dem sanften Gefälle des Geländes bis hinunter zu einem Teich, über den eine Blutbuche ihre Äste breitet. Über den Bachlauf schwingt sich ein weißes Brückchen: ausnahmsweise kein Ausstellungsstück. Dieses fast japanisch grazil wirkende Gebilde ist echte hiesige Wertarbeit: "Eines der ältesten Gussteile aus der Carlshütte, die noch in Gebrauch sind", sagt Gramm mit einer Spur von Stolz in der Stimme. Wie die Blutbuche stammt das Brückchen aus den Anfängen der Carlshütte. Als die Eisengießerei 1827 gegründet wurde, gab es noch keinen Nord-Ostsee-Kanal. Wo jetzt der Teich liegt, floss die Eider. In den nächsten Jahrzehnten kamen ein Direktorenhaus dazu, eine Remise, eine Pferdehalterei. Sie alle zeugen, denkmalgerecht restauriert, von der Unternehmensgeschichte - und von der Liebe und dem Respekt, die man hier den schönen Dingen entgegenbringt.

Die Gießerei gibt es noch. Heute allerdings stellt die ACO Gruppe zum größten Teil Polymerbeton her. Gleich neben dem Skulpturenpark lagern Tausende Betonelemente, abgeschirmt durch Hecken. Von der Thormannhalle aus kann man sie aber sehen - oder besser, durch die Halle hindurch. Ihr fehlen nämlich gerade ein paar Wände.

Wo jetzt noch Hammer und Betonmischer den Ton angeben, werden im Sommer Harfen- oder auch Tubaklänge zu hören sein. Hier findet die Orchesterakademie des Festivals statt, die wieder von der Nordmetall Stiftung gefördert wird. Künstler wie Christoph Eschenbach, Waltraud Meier oder Paul McCreesh proben öffentlich mit dem Schleswig-Holstein Festival Orchester. Dafür braucht es einen Saal. Also bekommt die ehemalige Lagerhalle einen neuen Fußboden und eine Geräuschdämmung. Eine Heizung wird eingebaut, die Bühne wird höhenverstellbar und in der Größe variabel sein. Bis zu 700 Zuhörer soll der Saal fassen.

Rund eine Million Euro lässt sich Ahlmann den Saal kosten. Warum er das tut? "Ich fürchte, er ist mit dem Virus Kunst infiziert", sagt Gramm und grinst. Ahlmann selbst drückt es prosaischer aus. "Wir leben doch alle mit unseren Familien hier", sagt der Mann mit den Rosenwangen. "Provinz ist Provinz. Da kann man entweder in die großen Städte pilgern - oder man schafft sich seine Lebensqualität vor Ort."

NordArt 4.6. bis 2.10. Büdelsdorf

Orchesterakademie 18.6. bis 20.8. Büdelsdorf