Fazil Say steht exemplarisch für die kulturelle Vielfalt seiner Heimat Türkei

Fazil Say kann man nur selten in die Augen sehen. Sie schauen nach innen, so wirkt es. Die Gesten sind es, die Kopfbewegungen, in denen er sich zeigt - am Klavier. Da wiegt er sich zur Musik, krümmt sich über die Tasten, singt mit und deutet immer wieder in die Luft, als nähme er mit einem höheren Wesen Kontakt auf.

Selten trifft man einen so kompromisslos dem Augenblick verpflichteten Künstler. Says Musizieren trifft ins Mark, wo und wann immer er auftritt. 2009 brachte er im Verein mit dem Ensemble Resonanz in der Laeiszhalle ein junges, zu großen Teilen türkisches Publikum zum Kochen: Nach einem hinreißend kammermusikalisch gespielten Mozart-Klavierkonzert klingelte und rasselte er als Zugabe Mozarts Alla-turca-Marsch, ging mit seinem Stück "Black Earth" auf eine orientalische Reise und schloss mit einer entfesselten Jazzimprovisation. Say hat mit dem New York Philharmonic Orchestra konzertiert und mit dem Israel Philharmonic Orchestra, er gastiert bei den großen Festivals.

Dieses Jahr widmet ihm das Schleswig-Holstein Musik Festival eine Reihe von Konzerten, bei denen nicht nur der Pianist, sondern auch der Komponist Fazil Say zu erleben ist.

"Ich weiß nicht, ob man meiner Beethoven-Interpretation anhört, dass ich Türke bin", sagt Say, der in Düsseldorf und Berlin ganz westeuropäisch Klavier studiert hat. "Trotzdem habe ich diesen Exotenstatus." Als Pianisten mag ihn das befremden, als Komponisten ist es ihm selbstverständlich: "Meine Musik hat einfach türkische DNA." Die ist unverkennbar: Selbst bei seinen Werken für Klavier zupft er die Saiten mit der Hand und erzeugt damit fremde Klänge, oder er präpariert die Saiten, um die türkische Mikrotonalität nachzuahmen.

Von Says exzentrischer Bühnenausstrahlung ist im Gespräch wenig zu merken. Er hebt beim Sprechen kaum die Stimme; sein näselnder Tonfall und manche Satzdreher verraten den Orientalen. Manchmal macht er mitten im Satz lange Pausen, als wäre es ihm unerträglich, etwas Ungenaues oder Belangloses zu sagen.

Say spricht ein erstaunlich nuanciertes Deutsch. 1970 in Ankara in eine westlich orientierte Familie hineingeboren, ist er ein Wanderer zwischen den Welten; 2008 verlieh ihm die EU den Titel "Botschafter des interkulturellen Dialogs". Mit europäischer Musik ist er aufgewachsen. Schon sein Vater und sein Großvater kamen zum Studium nach Deutschland; Say selbst hat in Ankara, Berlin und Düsseldorf studiert, heute lebt er in Istanbul. Von dort aus bricht er nicht nur zu Tourneen ins westliche Ausland auf, dort nimmt er sich Zeit für seine Tochter, er veranstaltet selbst Festivals und vermittelt unermüdlich nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch zwischen den Genres: "Die Welt ist größer geworden", findet er. "Ein Musiker muss heutzutage mehr kennen als das klassische Repertoire. Er muss sich mit Jazz auskennen, mit Elektronik und mit Weltmusik."

So reicht auch beim Festival die stilistische Spannweite vom Kammerkonzert mit dem Borusan Quartett und Werken von Mozart, Say und seinem Landsmann Ulvi Cemal Erkin bis zu den "Downtown Illusions" der Gruppe Spark, die seine Musik genauso verarbeitet wie Barock, Klassik und Balkan-Beat. Die NDR Radiophilharmonie bringt Says "Istanbul-Sinfonie" zur Aufführung. Und wenn die ehrwürdige Academy of St. Martin in the Fields kommt, greift Say nicht nur zum Taktstock, um das Ensemble bei Werken von Mozart, Bartók und Nevit Kodalli zu leiten. Er spielt auch den Solopart in seinem Klavierkonzert "Silk Road", das nicht weniger ist als eine fantastische Abenteuerreise auf den Spuren der alten Karawanen von China bis zur Türkei - verschmelzen doch im Fundus des Vielvölkerstaats Einflüsse von asiatischen Volksbräuchen bis zu den Hochkulturen der Antike aus Persien, Griechenlands und Byzanz.

In vier Sätzen schildert die Musik faszinierend gegensätzliche Eindrücke: Da erklingen die wilde Schönheit und die Spiritualität Tibets, und im nächsten Moment vibrieren Reminiszenzen indischer Tänze. In Mesopotamien lässt Say die Religionen aufeinanderprallen. Und wenn er das Volkslied "Schau, der Stein von Ankara" zitiert, besingt Say auch noch seine Heimat Anatolien. Auch ein Botschafter braucht schließlich Wurzeln.