“Atmen und halbwegs frei sein“ erzählt vom Schicksal Hamburger Juden im Exil

Die eigene Heimat verlassen zu müssen ist eine einschneidende Erfahrung. Für viele Hamburger bedeutete der Druck der nationalsozialistischen Verfolgung nach der Progromnacht, dass sie nach einem lebensrettenden Exil Ausschau halten mussten. Häufig wandten sie sich in die USA, nach Holland oder England, aber auch ins chinesische Shanghai. Ende der 30er-Jahre war das "Paris des Ostens" am Huangpu der einzige Ort, an dem man ohne Visum auskam. Ungefähr 600 Hamburger entschieden sich für diesen Weg.

Die Partnerschaft der Städte Hamburg und Shanghai besteht 2011 seit 25 Jahren. Anlass für die Kulturbehörde, eine Schau zu initiieren, die über das Schicksal der ausgewanderten Hamburger erzählt. Ein vierköpfiges Kuratorenteam erarbeitet die Ausstellung "Atmen und halbwegs frei sein - Flucht nach Shanghai", die bis zum 17. Juli im Museum für Hamburgische Geschichte zu sehen ist. Der Titel ist einem Zitat von Stefan Zweig entlehnt, das er in tröstlicher Absicht an die Emigranten Klaus und Erika Mann sandte.

"Wir wollen eine Auseinandersetzung zwischen Kunst und Erinnerung präsentieren", sagt Mitkurator Jens Huckeriede. "Die Erinnerungsarbeit steht unter dem Aspekt, dass es immer weniger Zeitzeugen gibt, die man noch befragen kann."

Die Ausstellung führt Lebensgeschichten von Hamburger Juden, die die Werkstatt der Erinnerung in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte gesammelt hat, mit den Biografien der Ausstellung "Memories of Shanghai" zusammen. Sie erzählen Lebensläufe jüdischer Menschen aus Deutschland und Österreich, die während der NS-Zeit nach Shanghai emigrierten. Aufgrund von Interviews und Briefen entstand eine Dauerausstellung in der Ohel-Moishe-Synagoge im Stadtteil Hongkew in Shanghai. Die Hamburger Schau erzählt auch sehr detailliert vom Leben in China. Bekannte Schauspieler sprechen an Hörstationen die Texte der Flüchtlinge.

Nach der Pogromnacht 1938 spitzte sich der Verfolgungsdruck in Deutschland zu. Mit ein paar Koffern und zehn Reichsmark brach das Gros der Flüchtlinge zwischen Dezember 1938 und August 1939 auf. Der jüdische Hilfsverein bestritt die Passagen und half mit einer Grundausstattung. Die Flüchtlinge gelangten über die italienischen Hafenstädte oder auf dem Landweg über die Mandschurei nach Shanghai. Aus Sammelunterkünften wurden sie auf Druck der japanischen Besatzungsmacht im Februar 1943 im Stadtteil Hongkew, einem typischen Altstadtviertel angesiedelt. Hier versuchten die Exilanten schnell Fuß zu fassen. Sie bauten sich eine eigene Infrastruktur auf, besuchten eigene Cafés, aber sie lernten die fremde Sprache kaum und blieben meist unter sich. Der Lebensstandard lag unterhalb dessen, was man in den 30er-Jahrn in Deutschland gewohnt war. "Kein Mensch hatte die Absicht in Shanghai zu bleiben."

Immerhin gab es in dieser sehr internationalen Stadt jüdische Einrichtungen, etwa eine Schule, in der nach englischen Standards unterrichtet wurde. Einer der Exilanten war James Wolff, Mitglied des Hamburger Gesangshumoristen-Trios Gebrüder Wolff. Mühsam hielt er sich als Schreibmaschinenreparateur über Wasser. Der Rechtsanwalt Dr. Herbert Frank versuchte in einem Gemeinschaftsbüro mit einem japanischen Kollegen die eigene Existenz zu sichern. Je jünger die Menschen waren, umso besser kamen sie zurecht. "Die Kinder spielten auf der Straße zusammen und für junge Männer war es ein Abenteuer, aber die Älteren hatten große Probleme. Sie fanden keine Arbeit in ihren angestammten Berufen", erzählen die Kuratorinnen Sybille Baumbach und Claudia Thorn. Gleichwohl begegnete man allen freundlich. Antisemitische Handlungen oder Äußerungen sind aus China nicht überliefert. Wie es den Juden parallel in Deutschland erging, wussten die Immigranten damals nicht.

Nach dem Abzug der japanischen Armee 1945 marschierten amerikanische und britische Truppen, aber auch chinesische Nationalisten der Kuomintang ein. Der Einmarsch der kommunistischen Truppen Mao Tse-tungs 1949 war für viele das Signal, die vorübergehende Heimat endgültig meist Richtung USA zu verlassen. Die drohenden neuen Repressalien erschienen wenig attraktiv. Etwa 600 Juden kehrten nach Deutschland zurück, sie siedelten bevorzugt in Großstädten und zogen es vor, das Land fern des ehemaligen Heimatortes wieder aufzubauen.

Heute zählt die jüdische Gemeinde in Shanghai rund 1000 Mitglieder. Es sind jedoch Juden, die als Geschäftsleute lange nach dem Krieg dorthin gekommen sind. Die Ausstellung trägt dazu bei, die Geschichte der damaligen Flüchtlinge wachzuhalten.

Atmen und halbwegs frei sein - Flucht nach Shanghai 20.5. bis 17.7., Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, Di-Sa 10.00-17.00, So 10.00-18.00; www.hamburgmuseum.de