Die Schau “Grafikdesign im Jugendstil“ widmet sich den Glanzstücken der grafischen Sammlung des Museums

Wir leben heute in einer Welt der absoluten Bilderflut. Im 18. Jahrhundert war das noch ganz anders. Abgesehen von Altären und Epitaphen in Kirchen ging der Mensch durch seinen Alltag, ohne jemals ein einziges Bild zu Gesicht zu bekommen. Es war die Zeit vor den farbig illustrierten Zeitschriften, den bunten Titelbildern, vor der Werbung, den Plakaten und den Anzeigen. In nur zwei Generationen sollte sich das vollständig ändern.

Nach den Napoleonischen Kriegen entwickelten sich um 1830 Formen öffentlicher Bilder in den Großstädten London und Paris, aber auch in anderen Städten Europas und Nordamerikas. Mit dem wachsenden Wohlstand der Industriegesellschaft nahmen sie in den Jahrzehnten um 1900 explosionsartig zu. Die Gebrauchsgrafik kam auf. "Im Jahre 1890 herrschte noch die konservativ geprägte Neo-Renaissance als eine Strömung des Historismus", erzählt Dr. Jürgen Döring vom Museum für Kunst und Gewerbe. "Damals galt ein Plakat als Kunst für alle. Viele selbst ernannte Künstler fertigten quietschbunte Arbeiten an." Bis mit dem Jugendstil eine ästhetische Gegenbewegung aufkam.

Ihr ist im Museum für Kunst und Gewerbe eine große Ausstellung mit Werken aus der umfangreichen Sammlung gewidmet. "Grafikdesign im Jugendstil. Der Aufbruch des Bildes in den Alltag" präsentiert rund 350 Motive, darunter solche, die Museumsgründer Justus Brinckmann (1843-1915) zum großen Teil erworben hat. Die Schau reflektiert die kreativen Jahre bis zum Anstieg des wirtschaftlichen Wettbewerbs um 1905. Zuvor von Malern und Illustratoren ausgeführte Arbeiten übernahmen jetzt zunehmend professionelle Grafiker und Agenturen.

Eine Ausstellung mit Arbeiten von Eugène Grasset 1894/1895 in Paris gilt heute als Geburtsstunde des Jugendstils. Grasset hatte mit Entwürfen für Kunsthandwerk begonnen und gehörte dem Symbolismus an. Wegweisend waren außerdem Künstler wie Walter Crane und Jules Chéret. Auch in England setzte sich der französische Jugendstil durch. Mit Samuel Bing war es ein Hamburger, der in der Galerie L'Art Nouveau in Brüssel den Jugendstil verbreitete.

Als neue Technik entstand die Farblithografie. Mit einem Übereinander verschiedener Farben ermöglichte sie eine naturähnliche Wirkung. Zu den ersten Künstlern, die diese Technik anwandten, zählte der pointilistische Maler Paul Signac. In dem Flachdruckverfahren haftet die Druckfarbe auf dem Stein nur an den Stellen, die zuvor mit fetthaltiger Lithografiekreide markiert wurden. Der Künstler zeichnete direkt auf den Stein oder ließ seinen Entwurf von professionellen Lithografen übertragen. Die Lithografie ermöglichte es, seitenverkehrt, aber in hoher Auflage Zeichnungen zu reproduzieren. Bei der ebenfalls gebräuchlichen Strichätzung wurde die Zeichnung mechanisch oder fotomechanisch auf die Druckform übertragen, bei der Autotypie ausschließlich fotografisch.

Der Begriff der "Originalgrafik" entstand. Laut dem Pariser Grafikverleger André Marty zählte dazu ausschließlich eine unveröffentlichte Komposition, die vom Künstler direkt auf Kupfer, Stein oder Holz ohne Zwischenstufen ausgeführt wird. Als eine der ersten Grafiken, die signiert und nummeriert wurden, gilt die "Grande Loge" von Henri de Toulouse-Lautrec. 1896 erschienen nur zwölf Exemplare zum Preis von 60 Franc. Justus Brinckmann erwarb das zehnte Exemplar. In der Ausstellung darf eines der bekanntesten Plakate weltweit, der Entwurf für die Auftritte von Aristide Bruant in seinem Kabarett Le Mirliton aus dem Jahre 1892, nicht fehlen.

Die Entwicklung des Grafikdesigns beförderte das Arts and Crafts Movement, das mit Künstlern wie Walter Crane als Reaktion auf den Historismus die Bedeutung der handwerklichen Qualität betonte. Ausgelöst vom Erfolg des Plakatkünstlers Jules Chéret, der für seine Farblithografien 1889 eine Goldmedaille auf der Weltausstellung erhielt, wurde das künstlerisch anspruchsvolle Plakat Mode. Seit zudem die Grasset-Ausstellung in der Pariser Galerie Salon des Cent Anfang 1894 erschien, übertrafen sich Jules Chéret und jüngere Künstler wie Henri de Toulouse-Lautrec oder Pierre Bonnard mit spektakulären Plakaten.

Aubrey Beardsley und Alfons Mucha zählten zu jenen, die Mitte der 1890er-Jahre den Jugendstil maßgeblich mitprägten. "Sie zeigten das Ideal eines schönen jugendlichen Menschen, der von einem in sich stimmigen, ornamentalen Ambiente umgeben war", so Dr. Jürgen Döring. "Der so stilisierte Alltag zeugte auch von einer gewissen Realitätsferne, die in einem denkwürdigen Gegensatz zur eher handfesten Funktion der Entwürfe steht."

Es entstanden Buchtitel, Plakate oder Einladungskarten. Beardsley, Mackintosh und die Beggarstaffs in England sowie Bradley, Rhead und Penfield in den USA entwickelten den Jugendstil weiter. In Deutschland kamen künstlerisch anspruchsvolle Plakate erst nach 1896 auf, ausgelöst durch die Münchner Zeitschrift "Jugend" und die satirische Wochenzeitschrift "Simplicissimus". In Berlin, Wien, Skandinavien, Ost- und Südeuropa verbreiteten sich Jugendstilplakate erst zum Ende der 1890er-Jahre.

Ornamente zierten bald Buchumschläge, Notentitel, Theaterprogramme und weitere Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie Tapeten, Vorhangsstoffe oder Fliesen, stets entworfen von renommierten Künstlern der Zeit. Hector Guimard entwarf die berühmten verschnörkelten Eingangsschilder der Pariser Metro. Mit der Verbreitung des Jugendstils, der Art Nouveau in Paris oder des Modern Style in London setzte auch ein Wandel im Alltagsleben ein.

Es war jetzt allgemein üblich, Ansichtspostkarten zu versenden, Buchumschläge mit Bildern zu versehen oder Zeitschriftentitel zu illustrieren. Mit "The Yellow Kid" entstand der erste Comic vierfarbig auf Zeitungspapier gedruckt. "Es gab lange das Problem, die gelbe Farbe herzustellen", so Dr. Jürgen Döring. "Daher stammt auch der Begriff der 'Yellow Press'."

Ausgehend von Glasgow kamen um 1900 neue Ornamentformen auf, die eine geometrische und rechtwinklige Gestaltung aufwiesen und sich von den floralen Formen aus Paris unterschieden. Eine der erfolgreichsten Stilrichtungen prägte die Wiener Secession. Mit den Architekten und Designern Henry van de Velde und Peter Behrens setzte sich um 1900 eine das einzelne Bild übergreifende Gestaltung in der Gebrauchsgrafik durch. So entwarf van de Velde 1898 etwa für den Lebensmittelhersteller Tropon die erste überlieferte Corporate Identity. Behrens folgte einige Jahre später mit Entwürfen für den Haushaltsgerätehersteller AEG. Es entwickelten sich auch Gegenreaktionen zum Jugendstil mit betont sachlichen Formsprachen.

Nach 1905 bekamen in allen Feldern des Grafikdesigns von der Buchgestaltung bis zum Plakat professionelle Gestalter wie Ludwig Hohlwein oder Emil Rudolf Weiß die Oberhand. Der industrielle Bilddruck kam auf und mit ihm die ersten Werbeagenturen in Deutschland und den USA. Angewandte und freie Grafik gingen von nun an getrennte Wege. Die Schau verfolgt diesen Weg anhand zahlreicher Beispiele.

Zur Ausstellung erscheint als Ergebnis eines groß angelegten Forschungsprojekts ein umfangreicher Katalog. Der Überblick über die internationale Entwicklung der Gebrauchsgrafik stellt verschiedene Stilrichtungen, die wichtigsten Motive sowie über 200 der führenden Grafiker vor.

Grafikdesign im Jugendstil. Der Aufbruch des Bildes in den Alltag bis 28.8., Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Di-So 11.00-18.00, Do 11.00-21.00