Eine opulente Schau feiert Rubens und den Barock in Antwerpen, der einst reichsten Stadt nördlich der Alpen

Für die reiche Handelsmetropole Antwerpen ist 1585 ein Schicksalsjahr: Nach langer Belagerung nehmen spanische Truppen unter dem Befehl des Feldherrn Alessandro Farnese die Stadt ein. Die Protestanten, die zuvor hier Asyl gefunden hatten, werden vertrieben. Mit Antwerpens Niederlage ist der Widerstand gebrochen, die südlichen Niederlande fallen nun komplett an Spanien. Unruhige Zeiten kündigen sich an. Noch 1549 hatte der Gelehrte Juan Calvete de Estrella gerühmt: "Die reiche und dicht bevölkerte Stadt Antwerpen konnte man zu Recht die Hauptstadt der Welt nennen." Doch nun blockieren die Feinde im Norden den Fluss Schelde und damit den 88 Kilometer entfernten Zugang zum Meer. Ist Antwerpens goldene Zeit jetzt endgültig vorbei?

Die Ausstellung "Rubens, Van Dyck, Jordaens - Barock aus Antwerpen" im Bucerius Kunst Forum zeichnet für das frühe 17. Jahrhundert ein ganz anderes Bild der wichtigsten Kulturstadt nördlich der Alpen. Antwerpen liegt keineswegs am Boden, sondern findet unter der spanischen Herrschaft sehr schnell eine neue Rolle - und kommt noch einmal zu neuem Reichtum. "Für Künstler, vor allem für Maler, war es eine außerordentlich fruchtbare Zeit", sagt Ausstellungskurator Dr. Michael Philipp: "Rubens wusste genau, warum er 1608 Italien den Rücken kehrte und sich wieder in Antwerpen niederließ. Es war nicht nur das Versprechen von Erzherzog Albrecht, dem Statthalter der spanischen Niederlande, ihn zum Hofmaler zu ernennen, Rubens war klar, dass es in Antwerpen keinen Mangel an Aufträgen geben würde."

Die Gründe liegen auf der Hand: Die spanische Herrschaft verändert nicht nur die Politik, sondern hat auch erhebliche konfessionelle und kulturelle Konsequenzen. Die Kirchen, deren Altäre dem Bildersturm der Calvinisten zum Opfer gefallen sind, müssen nun wieder neu ausgestattet werden. Schon wenige Tage nach dem Einmarsch der Spanier erlassen die neuen Herren eine Verordnung, nach der die Zünfte und Gilden ihre Altäre wieder herstellen lassen müssen. Die kargen calvinistischen Kirchen werden wieder zu katholischen Prachträumen. Die Gegenreformation ist süchtig nach Bildern, und die Künstler können sich vor Aufträgen kaum retten. Innerhalb weniger Jahre werden in Flandern Hunderte Kirchen neu ausgestattet, die zuvor vertriebenen Jesuiten kommen zurück, ebenso die Franziskaner und die Karmeliter. Sie alle brauchen Altäre und Bilder.

Und diese unterscheiden sich von denen, die man in Antwerpen bisher gekannt hat. Gefragt sind nicht mehr die von weltentrückter Frömmigkeit geprägten Bilder der spätmanieristischen Maler, gefragt ist Sinnlichkeit, Pathos, das Schwelgen in Farben. Da kommt Peter Paul Rubens, der in Italien Tizian und Veronese studiert hat, gerade recht. Die großen Gesten, die großen Formate, die großen Gefühle, die Farbenglut, die Dynamik der Darstellung - all das, was Rubens in Italien gelernt hat, wird in Antwerpen begierig aufgenommen. Rubens' Stil entspricht damit exakt dem neuen Selbstbewusstsein der triumphierenden Kirche.

Mit prächtigen Bildern nicht nur von Rubens, sondern auch von Anthonis van Dyck und Jacob Jordaens sowie von deren Zeitgenossen vermittelt die Ausstellung einen Eindruck vom Reichtum der Barockmetropole Antwerpen. Die Werke stammen ausnahmslos aus dem Koninklijk Museum voor Schone Kunsten. "Da das Museum zurzeit aufgrund von Rekonstruktionsmaßnahmen geschlossen ist, können wir die Bilder entleihen. Für uns ist das ein Glücksumstand, zumal eine Sammlung von dieser Qualität und Fülle sonst ganz sicher nicht verfügbar wäre", meint Dr. Philipp, der auf manches Werk schon aus praktischen Gründen verzichten muss: Viele der Werke von Rubens haben ein so großes Format, dass sie sich nur schwer transportieren lassen und zudem den Rahmen der Ausstellungsräume des Bucerius Kunst Forums buchstäblich sprengen würden.

Auch wenn Motive wie zum Beispiel die um 1630 von Rubens gemalte großartige "Vision der heiligen Theresia von Avila" oder die in ihrer volkstümlich-derben Mariendarstellung schon etwas genrehaft wirkende "Anbetung der Hirten" von Jacob Jordaens durchaus großen Raum einnehmen, beschränkt sich die Ausstellung keineswegs auf religiöse Themen.

Erzherzog Albrecht und dessen Gattin Isabella, die als quasi souveräne Herzöge im spanischen Auftrag regieren, entfalten eine bis dahin ungekannte höfische Kultur, in der selbstverständlich die bildende Kunst eine wichtige Rolle spielt. Ihr Hofmaler Peter Paul Rubens bekommt damit viel zu tun, er malt nicht nur repräsentative Herrscherbildnisse, sondern zahlreiche Motive aus der griechischen und römischen Mythologie, die ihm die Gelegenheit gegeben, viel menschliches Fleisch auf großen Leinwänden zu enthüllen.

Aber auch die wohlhabenden Antwerpener Bürger werden für die Künstler zu wichtige Auftraggebern.

Obwohl die Stadt durch die Sperrung der Schelde den Zugang zur See verloren hat und Amsterdam immer größere Bedeutung erlangt, bleibt sie zunächst noch das wichtigste Handelszentrum der südlichen Niederlande. Statt auf den Seehandel zu setzen, produziert man nun Luxuswaren. Silbergegenstände, Wein und Spitzen zählen zu den Handelswaren, kunstfertige Handwerker schleifen Diamanten, die man nirgendwo sonst in einer Qualität erwerben kann wie hier. Aber auch Gemälde gehören zu jenen Luxuswaren, für die Antwerpen bald ein Begriff wird.

Das alles entwickelt sich während des Achtzigjährigen Kriegs, der allerdings auch ruhige Phasen hat. So beginnt 1609 ein zwölfjähriger Waffenstillstand - eine Zeit, in der die Künste besonders erblühen. "Die Kunst, die wir hier zeigen, ist dem Krieg buchstäblich abgerungen worden", sagt Dr. Philipp, dessen Ausstellungskonzept die Vielfalt und den Reichtum der künstlerischen Szene zum Ausdruck bringt. "Rubens und die Maler seines Umfelds haben ihr Können zwar in den Dienst der Kirche gestellt, sich aber eine große künstlerische Freiheit bewahrt, was zum Beispiel ihr Interesse an der Antike und der Mythologie deutlich zeigt", sagt Philipp. Für die Altäre malt man biblische Motive, für den Hof mythologische Szenen und die reichen Bürger lassen sich am liebsten porträtieren.

Um derartig breit gefächerten Kundenerwartungen gerecht werden zu können, bilden viele Künstler spezialisierte Werkstattgemeinschaften: Der eine malt Menschen, der andere Tiere, der dritte Landschaften. Peter Paul Rubens gründet in Antwerpen eine Werkstatt, in der viele Schüler beschäftigt sind, die unter Anleitung und Kontrolle des Meisters die diversen Teile seiner Werke ausführen.

Auch der deutlich jüngere Anthonis van Dyck lernt Rubens kennen und steht unter dessen Einfluss, orientiert sich später aber stärker an italienischen Vorbildern wie Tizian und Veronese. Die Arbeiten von Jacob Jordaens, der ebenfalls stark von Rubens beeinflusst ist, wirken volkstümlicher und manchmal auch derber. Seine Bilder tragen vielfach schon genrehafte Züge und treffen damit den Geschmack des Publikums, das sich im Lauf des 17. Jahrhunderts immer stärker für gemalte Alltagsszenen begeistern wird.

Auch Stillleben spielen in der Antwerpener Barockmalerei eine wichtige Rolle. In der Ausstellung zeigt das besonders eindrucksvoll der "Blumenstrauß in skulptierter Vase", den Jan Breughel 1620 geschaffen hat. Dabei handelt es sich um weit mehr als nur ein hübsch anzusehendes Blumengebinde. Die exakte Darstellung der Blüten und der im Strauß versteckten Insekten verrät ein starkes naturwissenschaftliches Interesse. Zu sehen sind Blumen, die in Wirklichkeit zu unterschiedlichen Zeiten blühen, also niemals in einem Strauß zusammengebunden sein können. Die herabgefallenen Blüten symbolisieren die Endlichkeit des Seins. "Dieses Stillleben ist für einen Sammler gemalt worden, der damit sein Interesse an der naturwissenschaftlichen Erkenntnis der Welt zum Ausdruck bringen konnte. Außerdem sind Blumen im 17. Jahrhundert Attribute des Luxus. Tulpen, die hier ebenfalls dargestellt sind, wurden zu Spekulationsobjekten. Es handelt sich also um ein prestigeträchtiges Bild mit einer Fülle von Bezügen", erklärt der Ausstellungskurator.

Doch Antwerpens Reichtum ist nicht von Dauer. Die Entwicklungen des 17. Jahrhunderts erweisen sich als ungünstig. Schon 1627 beklagt Rubens: "Unsere Stadt siecht dahin wie ein Körper, der von Schwindsucht bedroht ist."

Ausgerechnet der Westfälische Friede, mit dem 1648 nicht nur der Dreißigjährige Krieg, sondern für die Niederlande auch der Achtzigjährige zu Ende geht, beschleunigt Antwerpens wirtschaftlichen Niedergang. Doch zu dieser Zeit ist Rubens, der wichtigste Maler des flämischen Barocks, schon acht Jahre tot.

Rubens, van Dyck, Jordaens - Barock aus Antwerpen 11.6. bis 19.9., Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, Mo-So 11-19, Do bis 21 Uhr