Vier Fotografinnen im Hamburg der 20er-Jahre

Die Zwanzigerjahre waren auch in Hamburg eine Zeit der künstlerischen Avantgarde. Was in der Kunst der Expressionismus, war in der Fotografie das Neue Sehen, beeinflusst etwa von dem russischen Konstruktivisten Rodtschenko. Im Zusammenhang mit dem großen Hamburger 20er-Jahre-Kulturfrühling stellt das Museum für Kunst und Gewerbe in der Schau "Eine Frage der Zeit. Vier Fotografinnen im Hamburg der Zwanziger Jahre" exemplarisch ungewöhnliche Vertreterinnen vor. Repräsentantinnen einer neuen Liberalität, die sich nur im Kontext ihrer Biografien vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis ins Dritte Reich begreifen lassen. "Es gab in den 20er-Jahren keine einheitliche Szene in der Fotografie", sagt Kuratorin Gabriele Betancourt-Nuñez.

Minya Diez-Dührkoop (1873-1929) gilt als frühes Beispiel einer eigenständigen Berufsfotografin. Sie lernte bei ihrem Vater, Rudolf Dührkoop, in dessen 1883 gegründeten berühmten Atelier, wurde seine Teilhaberin. Beide inszenierten Persönlichkeiten aus Politik, Adel und Wissenschaft. Dührkoop hatte ihre kreativen Wurzeln noch in der Kunstfotografie von 1900, dem Piktorialismus. Berühmt wurde ihre 1924 entstandene Serie "Tanzmasken", in der sie das Künstlerpaar Lavinia Schulz und Walter Holdt in Tanzposen ablichtete. Hier werden bereits erste Formen des Art déco und besondere Licht-Schatten-Effekte erkennbar.

In ihrem eigenen Atelier wirkte auch Lotte Genzsch (1907-2003). Sie lernte am Frauen vorbehaltenen Lette-Verein in Berlin, arbeitete freischaffend als Porträtfotografin. Ihre Motive fand sie häufig bei den Arbeitern im Hafen. Mit Vorliebe hob sie die Materialien mit außergewöhnlichem Lichtspiel hervor und brachte mit besonderen Schnitten eine neue Dynamik in die Bildgestaltung. 1960 gab sie die Fotografie auf und wandte sich der Beschäftigungstherapie zu. Für die einschneidende Zäsur, die das Dritte Reich für einige Künstler bedeutete, steht die Fotografin Natascha A. Brunswick (1909-2003), eine eigenwillige Doppelbegabung.

Sie studierte Mathematik und schuf als fotografische Autodidaktin ein wichtiges Oeuvre. Nebenbei entwarf sie hochmoderne Bauhausmöbel für den eigenen Gebrauch. Sie fotografierte im alltäglichen, gutbürgerlichen Lebensumfeld, fertigte erstaunliche Porträts ihrer Kinder an, mit Licht-Schatten-Kontrasten und detaillierten Strukturen. Da sie "Halbjüdin" war, musste die Familie 1937 in die USA emigrieren, Brunswicks Leica wurde beschlagnahmt. Fortan arbeitete sie nur noch als Mathematikerin.

Wie Diez-Dührkoop war auch Hildi Schmidt Heins (geb. 1915) beeinflusst von ihrem technikbegeisterten Vater. Sie studierte an der Hansischen Hochschule für bildende Künste in Hamburg, der heutigen HfbK, Malerei und Gebrauchsgrafik. Geprägt vom Neuen Sehen und dem Bauhaus arbeitete sie als freischaffende Künstlerin. Unter anderem kombinierte sie Bild und Schriftzug in Typo-Fotos, fing aber auch die Exotik fremder Länder ein.

"Sie erschien unter den Nazis nicht zum Appell und wurde von der Schule verwiesen", erzählt Betancourt-Nuñez. "Sie hat sich im Alltag verweigert." Nach 1945 hat sie sich ganz der Bildenden Kunst zugewandt. Letztlich bedeutete die Nazi-Diktatur für alle vier Frauen eine Zäsur. Doch sie hinterließen ein Werk, an das die Fotografie nach dem Zweiten Weltkrieg anknüpfen konnte. "Wir konstruieren gerne Brüche", sagt Gabriele Betancourt-Nuñez. "Ich denke, dass in der Zeit des Dritten Reiches viel adaptiert und amalgamiert wurde."

Eine Frage der Zeit. Vier Fotografinnen im Hamburg der Zwanziger Jahre bis 27.6., Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Di-So 11-18 Uhr, Mi/Do 11-21 Uhr