In den Programmen der Inszenierten Bildung lernen Kinder und Jugendliche spielerisch den Umgang mit Mobilität

Die rot-weißen Hütchen umkurvt Maren Kraus noch relativ lässig auf dem Fahrrad, doch an einem schmalen Holzbrett scheitert sie. Nicht genau gelenkt und schon ist sie mit einem Reifen neben dem etwa zehn Zentimeter breiten Brett auf dem Asphalt gelandet. "Gar nicht so einfach", kommentiert die 27-jährige Referendarin. Zusammen mit einer Gruppe von Kollegen des Studienseminars Wolfenbüttel nimmt sie an einer Lehrerfortbildung zur Verkehrserziehung in der Autostadt in Wolfsburg teil. In ein paar Wochen wird sie mit Grundschülern einer vierten Klasse hierherkommen, die ebenfalls den schwierigen Parcours bewältigen müssen und noch mehr über das Fahrrad lernen werden.

Seit 2003 dient die Autostadt jenseits ihrer vielen Attraktionen auch als außerschulischer Lernort. Lehrer kommen, um sich weiterzubilden, oder sie kommen mit ihren Klassen, um an einem der insgesamt 35 Workshops teilzunehmen. Und zwar nicht während eines Wandertages, sondern zu regulärer Unterrichtszeit. Möglich ist das, weil die Autostadt und das niedersächsische Kultusministerium Anfang des Jahrtausends gemeinsam das Curriculum "Mobilität" auf den Weg gebracht haben. "Dieses Konzept ersetzt die herkömmliche Verkehrserziehung und bietet zum Teil völlig neue Lerninhalte an", sagt Dr. Maria Schneider, Kreativdirektorin der Autostadt. "Inszenierte Bildung" heißt diese Facette neuer Lernkultur jenseits des klassischen Bildungssystems. "Mit dem Bildungsauftrag, den wir uns selbst auferlegt haben, wollen wir auch unserer gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung nachkommen", erläutert Dr. Maria Schneider.

70 pädagogische Mitarbeiter arbeiten in der Autostadt. Sie organisieren und gestalten Workshops, sie geben aufwendige Publikationen mit dem Titel "Denk(t)räume Mobilität" heraus, die Lehrern Materialien für die entsprechenden Unterrichtseinheiten an die Hand geben. Gerade ist der vierte Band dieses fächerübergreifenden Konzepts zu "Mathematik und Musik" erschienen. Die übrigen, bis zu 90 Seiten starken Magazine behandeln die Themen "Physik und Kunst", "Physik und Erdkunde" und "Erdkunde und Deutsch".

Zwei Lehrer hat das niedersächsische Kultusministerium in die Autostadt abgeordnet. Einer von ihnen ist Falk Elbers. Früher unterrichtete er an einem Gymnasium in Hermannsburg, jetzt ist dieser Themenpark mit seinen modern designten Pavillons sein Arbeitsplatz. "Es gibt hier für Klassen praktische und inhaltliche Möglichkeiten, die eine Schule nicht bieten kann", sagt Elbers. Beispiele dafür sieht man in der Autostadt jeden Tag.

In einem der großzügigen Seminarräume arbeitet eine achte Hauptschulklasse aus Cloppenburg. Kinder und Lehrer haben eine vierstündige Anreise mit dem Bus auf sich genommen, um an dem Workshop "AutoDesign" teilzunehmen. Mit großem Eifer formen die Schüler Modelle aus Plastilin und einem Hartschaumkern. Die 14 Jahre alte Wilhelmina zum Beispiel entwirft eine Limousine, am Nachbartisch formt ihr Klassenkamerad Jürgen einen schnittigen Sportwagen. Natürlich dreht sich in einer Autostadt vieles um Autos, aber längst nicht alles. Das Programmspektrum für Schulklassen aller Altersstufen reicht von gesunder Ernährung über ökologische Forschung mit Kamera und Reagenzglas bis zu einer Führung zu gesellschaftlichen Aspekten unseres Lebensraums. "Die Mobilität in der Gesellschaft und die weltweite Vernetzung sind die Felder, zu denen wir Fragen stellen", sagt Dr. Michael Pries, Leiter der "Inszenierten Bildung". "Es geht uns darum, die Chancen und Risiken der Mobilität aufzuzeigen. Wir wollen Menschen zum Nachdenken anregen."

Diese Arbeit beginnt bereits im Kindergartenalter. "Technische Frühbildung" liegt Pries besonders am Herzen. "Kinder stellen wichtige Fragen, weil sie die Funktionsprinzipien wissen wollen. Deshalb bieten wir eine Reihe von Workshops an, in denen wir Erziehern zeigen, dass technische Fragen auch schon im Kindergarten vermittelbar sind." Im KonzernForum, zu dem auch der LernPark gehört, ist gerade eine Kindergartengruppe mit behinderten und nicht behinderten Kindern zu Gast. Die Kleinen basteln mit ihren Erziehern und Autostadt-Pädagogen Luftraketenautos. Emsig schneiden sie aus, malen, kleben Teile zusammen und überlegen, wie sie die bunten Gefährte in Bewegung setzen können.

Neu im pädagogischen Konzept der "Inszenierten Bildung" ist die im ZeitHaus gelegene "Werkstatt". Das Team um den Autostadt-Pädagogen André Ottenhof ist dabei, die 32 vollständig ausgestatteten Arbeitsplätze und die zwei Hebebühnen vorzubereiten, denn am nächsten Tag sollen die ersten Schülergruppen kommen, um sich gründlich mit dem Thema Auto auseinanderzusetzen. Drei Pkw, ein Käfer, ein Golf und ein New Beetle, plus Dutzende von Einzelteilen befinden sich in der Werkstatt. Anhand der Fahrzeuge soll den Schülern ein Einblick in das Innere gegeben werden. Sie können dort auch kleinere Motoren zerlegen und wieder zusammenbauen, um zu sehen, wie Verbrennungsprozesse ablaufen. Aber auch das Innenleben einer Tür, die chemischen Prozesse beim Rosten und noch viele Fragen rund um das Auto bekommen sie praxisnah beantwortet. Wichtiger Teil des Konzepts ist es, dass die Schüler selber handwerklich arbeiten, sogar Schweißen ist hier unter Anleitung möglich.

Die Attraktivität der Bildungsangebote nimmt mit der "Werkstatt" weiter zu. Mehr als 200 000 Menschen nutzten im vergangenen Jahr die mehr als 1600 pädagogischen Veranstaltungen. Gegenüber dem Vorjahr entspricht das einer Steigerung von 57 Prozent. Nicht nur Schüler und Lehrer will man mit diesen Bildungsangeboten ansprechen. Mit dem "Programm 55plus" hat die Autostadt das generationenübergreifende Bildungskonzept mit Blick auf eine ältere Zielgruppe zu einem regelmäßigen Semesterangebot ausgeweitet. Es gibt Workshops zu Architektur und Design, zu Fitness und auch Tanzworkshops anlässlich der Movimentos Festwochen. "Es ist uns ein wichtiges Anliegen, unseren Besuchern die richtige Mischung aus angeleitetem und selbst gesteuertem Lernen anzubieten", sagt Dr. Maria Schneider. Die Erfolgszahlen geben ihr recht. Genauso wie der Enthusiasmus der Kinder.