Das Nutzungskonzept sieht die Kirche nur selten als ein reines Gotteshaus

Wenn St. Georgen in Wismar, die mächtige Backsteinkirche, ihre Pforten öffnet, werden viele fragen: Warum kann der herrliche Bau, der in seiner imposanten Form ein Sinnbild für "Eine feste Burg" aus dem Lutherlied geworden ist, nicht wieder in vollem Sinne Kirche sein? Geplant ist eine Nutzung, die von fern an einen Kulturpalast erinnert. Konzerte, Kunstausstellungen, Tagungen, festliche Empfänge - und daneben dann und wann auch Gottesdienste. Das ist das aktuelle Konzept. Auf diese "Nebenrolle" der Religion in dem großartigen Bau, der einzig und allein zur Ehre Gottes errichtet wurde, ist auch das Raumprogramm ausgerichtet. So soll der 1430 geschaffene Hochaltar, der heute noch in einer Seitenkapelle der St. Nikolaikirche steht, seinen neuen Platz nicht wieder im Hauptschiff, sondern in der südlichen Seitenkapelle von St. Georgen finden. Der Platz ist als "Ort der Stille" ausgewiesen. Für so manchen, der sich über die Wiedererstehung dieses herrlichen Gotteshauses gefreut hat, wird das Wort eine bitter empfundene Nebenbedeutung haben.

Die Kirchen müssen stark um ihre Einnahmen kämpfen

Nun ist nicht zu leugnen, was auf jedem Kirchenbautag von fast jedem Referenten unterstrichen wird: Die Kirchen haben mit einem drastischen Rückgang ihrer Einnahmen zu kämpfen. Landauf, landab müssen Gotteshäuser geschlossen werden, weil die Bevölkerung schrumpft, die Gemeinden Mitglieder verlieren, viele Christen die Kirchensteuer sparen wollen und der Kirche den Rücken kehren. Auf dem Land predigt so mancher Pfarrer nur noch vor drei oder vier Gottesdienstbesuchern. Aber ist es richtig, auf Kirchenflucht mit Rückzug zu antworten? Wenn die Pastorin von Vietlübbe bei Gadebusch am Sonntagmorgen ihre Kirche betritt, steht sie manches Mal vor leeren Bänken. "Dann bete und singe ich dort mit meiner Küsterin allein", sagt die Frau.

Der Nutzen sollte nicht an der Anzahl der Gottesdienste gemessen werden

Und es klingt alles andere als resignativ. Wer den "Nutzen" von Kirchgebäuden nur daran messen zu können vermeint, ob die Kirche beim Gottesdienst "voll" wie die Stadthalle bei einem Rockkonzert mit internationaler Besetzung ist, erliegt einer groben Fehleinschätzung. Das großartige Münster von St.-Doberan wurde von 60 Mönchen nur für die eigene Messe erbaut. Als sich die Wismarer erkühnten, die Kirche St. Georgen zu errichten, zählten sie gerade mal 8000 Köpfe.

Gemeindeaufbau beginnt immer von unten. Und er beginnt oft mit Kirchenbau. In Dresden hat der Wiederaufbau der Frauenkirche, gegen den sich die Kirchenleute ähnlich wie in Wismar lange gesträubt hatten, schon in der Bauphase bei Glockenweihe, Aufziehen des Turmkreuzes, erstem Gottesdienst, erster Weihnachtsvesper jedes Mal Zehntausende auf die Beine gebracht. Den 2005 fertiggestellten Bau haben bis heute mehr als acht Millionen Menschen besucht. Erst jetzt wagt man, den Besuchern nicht nur das Bauwerk, sondern auch seine Bestimmung nahezubringen und lädt die bunt zusammengewürfelten Gruppen zu spontanen Andachten ein. So manchem Besucher, dem das Bauwerk zuvor in seiner ganzen Entfaltung unerklärlich war, werden hier seine tatsächlichen Dimensionen erst bewusst.

Wer die Altäre an die Seite schiebt, verwirft den spirituellen Anspruch des "heiligen Raums", von dem Ludwig Mödl, Professor am Herzoglichen Georgianum München, sagt: "Seine Weite, der Hall der Töne, die Lichtspiele sollen etwas von der Größe dessen ahnen lassen, was hier geistig geschieht." In ein poetisches Bild hat es der Kunstwissenschaftler Hans Sedlmayr gefasst: "Über die Lichtkronen weit hinaus geht das Himmelsbild der Kathedrale dadurch, dass es nicht unerreichbar und klein wie eine ferne Vision über den Häuptern schwebt, sondern uns in sich aufnimmt und Glanz und Pracht des Himmels in überwältigenden Verhältnissen den Sinnen nahebringt."