Altar, Triumphkreuz und Portal der Nordostkapelle sind Kunstwerke von ganz besonderer Qualität

Als in Lübeck Ende März 1942 die Bomben fielen und Stadt und Kirchen zerstörten, begann man sich auch in Wismar Sorgen zu machen. Zumindest dem mittelalterlichen Schnitzaltar in St. Georgen sollte das Schicksal von Brand und Zerstörung erspart bleiben. Der im geöffneten Zustand zehn Meter lange und 4,42 Meter hohe Altar wurde direkt an seinem Standort in der Kirche eingemauert. Das war eine kluge Entscheidung, die ihn rettete, aber nicht vor dem Zerfall bewahrte. Denn während die Georgenkirche ihre Lang- und Querhausgewölbe verlor, schützte der Steinmantel Maria und all die Heiligen. Doch die Luftfeuchtigkeit unter der Steinhülle war so hoch, dass sich die Bemalung löste. Der riesige, vierflügelige, gotische Altar von 1430 wurde, wie die Kirche auch, zum Sanierungsfall.

Große Schäden waren die Folge der späten Sanierung

Lange passierte allerdings gar nichts. Erst 1953 begann man die Mauern um den Altar niederzureißen und sah ein Kunstwerk voller Schimmel und herabhängender Farbschichten. Die Vergoldung schlug Blasen, die Tafelmalerei auf den Flügeln löste sich, und einigen der geschnitzten Heiligen waren die Attribute gestohlen worden. Doch der Altar existierte und konnte in die Nikolaikirche transportiert werden, während die Georgenkirche weiter zerfiel und nur die Absichtserklärungen zum Wiederaufbau sich häuften.

Die Restaurierung des Altars ging schneller voran. Sie war dringend nötig, denn in der Nikolaikirche waren die Bedingungen nicht ideal. Auch hier regnete es durch, zeitweise direkt auf den Altar. 1980 - 35 Jahre nach Kriegsende - begann die durch den Förderkreis Sankt Georgen zu Wismar mit umgerechnet 750 000 Euro finanzierte Restaurierung. Es dauerte - mit vielen Unterbrechungen - 27 Jahre, bis Maria, die mehr als 40 Schnitzfiguren, die bemalten Außenseiten und der aufwendige Rahmen wieder in Gold und Rot und Blau erstrahlen konnten.

Auch in den früheren Jahrhunderten musste oft restauriert werden

Leider war dies nicht die erste Restaurierung. Mehrfach musste schon in früheren Jahrhunderten etwas ausgebessert werden. Den folgenreichsten Eingriff gab es 1881, als die farbigen Fassungen der Schnitzfiguren nicht nur restauriert, sondern komplett erneuert wurden. Die gotische Originalfassung ging vollständig verloren. Die Malerei auf der Rückseite war damals allerdings noch erhalten. Sie ist heute verschwunden, älteren Berichten zufolge ermahnten die Bilder die Gläubigen zu Reue und Buße. Auf der Vorderseite des geschlossenen Altars sah der Kirchenbesucher ursprünglich zwölf Heilige. Auch von ihnen gibt es nur noch Beschreibungen. Wo einst die Heiligen Drei Könige, Georg, Martin, Agnes, Elisabeth und andere Heilige standen, ist nur noch blankes Holz.

Die Innenseiten der Flügel waren dagegen besser geschützt und sind so gut erhalten, dass links die vier Szenen aus dem Leben des Heiligen Georg und rechts vier aus dem Leben des Heiligen Martin gut zu erkennen sind. Die mittleren acht Bilder thematisieren Leben und Passion Christi. Dass die Malerei der Predella mit Jesus als Schmerzensmann samt Kirchenvätern und Propheten noch existiert, liegt wohl daran, dass sie lange durch ein Bild davor geschützt war.

Die Innenansicht der Altarflügel ist besonders beeindruckend

Die kostbare, traditionell nur zu Festtagen geöffnete Innenansicht, die heute als Schauseite dient, ist eine goldschimmernde Heiligen- und Apostelversammlung um die Marienkrönung im Zentrum. Zwar gibt es im Ostseeraum häufiger Altäre dieser Art und dieser Thematik, doch so groß wie dieser ist keiner. Selbst für den Chor von Sankt Georgen war er eigentlich zu groß, aber offenbar hoffte die Kirche auf eine Erweiterung des Chores. Die gab es nicht, denn auf dem angrenzenden Grundstück baute der Fürst seinen Stadtpalast, weshalb der Chor den heute so charakteristischen, aber sehr ungewöhnlichen geraden Abschluss behielt.

Historische Dokumente aus der Entstehungszeit des Altars sind nicht überliefert. Ebenso wenig konnten Künstler und Finanzier identifiziert werden. Allerdings kniet direkt unter Maria ein dicker rot ewandeter Kaufmann, den man wohl für den Geldgeber halten darf. Zumal er, deutlich hervorgehoben, eine prall gefüllte Geldkatze am Gürtel trägt und sein Wappen gut sichtbar neben ihm steht. Leider kann das Wappen nicht mehr zugeordnet werden. Sicherlich wird er ein reicher Wismarer Bürger gewesen sein, denn Kirchenbaufinanzierung durch Bürger war üblich - vor allem in den reichen Hansestädten, zu denen Wismar einst zählte. Bürgersinn und lebenslange Verbundenheit haben in der alten Hansestadt Wismar Tradition.

Dass der Altar mit allen seinen Figuren komplett erhalten blieb, ist ein großes Glück. Wie durch ein Wunder ging keine der Altarfiguren verloren, nur einige ihrer Symbole und die meisten der kleinen Pergament-Namenszettelchen, die sie auf dem Rücken hatten. Das machte die Aufstellung und Benennung schwierig, und lange stritten die Fachleute,um die richtige, die ursprüngliche Anordnung der Heiligen.

Um Fragen des richtigen Platzes geht es noch immer, allerdings dreht sich der Streit nun um eine Wiederaufstellung in der Georgenkirche. Die Stadt favorisiert die Aufstellung in einer Seitenkapelle, damit genug Platz für Veranstaltungen bleibt.